Mittwoch, März 23, 2011

"Und der hält sich auch noch für subversiv!"

Ich halte den Kisch-Preisträger Harald Martenstein ("Tagesspiegel", "Zeit", "GEO") ja für einen von Deutschlands besten Kolumnisten. Sein aktueller Roman Gefühlte Nähe allerdings wird von einem wohl nicht nur mir völlig unbekannten Rezensenten namens Max Beck heute dermaßen wütend und gehässig verrissen, dass ich das Buch wohl unbedingt auf meine Leseliste nehmen sollte. Was hat Martenstein verbrochen, dass ein Rezensent so unter der Decke hängt? Na was wohl – er hat sich im feministisch durchgegenderten Deutschland die ultimative Provokation geleistet. Max Beck schildert das nach seinen ersten Hassanfällen über angeblichen "Mist", "Ressentiments", "Banalitäten" und "Gedankenarmut" so:

„Es ist eigentlich kein Roman über eine Frau, sondern ein Roman über die Männer“, sagt Martenstein in einem Video auf der Internetseite seines Verlages, in dem er seinen literarischen Ansatz erklärt. Da ist ihm nur zuzustimmen. Er sehnt sich wohl eine „Männerförderung“ à la Kristina Schröder herbei. Zumindest das anklagende Gerede seiner männlichen Protagonisten über „schwer feministische“, „verbitterte“ und „bösartige“ Frauen lässt das vermuten. Und auch in seiner Kolumne gibt Martenstein zu Protokoll: „Was mir lediglich auffällt, ist, dass wir älteren Herren inzwischen die einzige Gruppe sind, auf der jeder herumhacken darf, ohne dass ihm oder ihr Diskriminierung vorgeworfen wird.“

Martenstein ist ein sehr deutscher Kolumnist. Mal vergleicht er wider die „politische Korrektheit“ brennende Autos in Berlin mit den rassistischen Pogromen Anfang der 1990-er Jahre. Ansonsten widersetzt er sich tapfer dem „Gender-Hokuspokus“. Deshalb kann Martenstein aus dem Stegreif Unterschiede zwischen Mann und Frau benennen, die angeblich „auch nicht wegerzogen werden“ können. Mit solchen Thesen schafft man es in der Republik der Kristina Schröder und der Eva Hermann zwar nicht mehr auf das Titelblatt des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, trotzdem hält sich Martenstein zu allem Überfluss auch noch für subversiv, er sei „als ZEITmagazin-Kolumnist von Amts wegen zum Nonkonformismus verpflichtet“.


Becks Fazit: Der Roman sei "Bullshit". Großartig! Bei jedem dieser Ausbrüche sprüht dem Leser der Geifer eines Rezensenten entgegen, der jegliche Contenance verloren hat. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie dieser Kritiker gegen nicht-systemkonforme Literatur wettern würde, wenn wir alle noch in der DDR lebten. Oder noch früher. Tja, Herr Martenstein, Sie alter Ketzer, da haben Sie wohl ein echtes Sakrileg begangen, um Max Beck dermaßen in Wallung zu bringen.

Manchmal gerät der Verriss eines Buches dermaßen entblößend für den Rezensenten, dass das Buch dadurch fast schon zur Pflichtlektüre aufsteigt. Wenn man mal die ganze Galle aus dieser Rezension herausfiltert, scheint Martenstein mutig einige klarsichtige Beobachtungen zu Papier gebracht zu haben, die den Mainstream dazu bringen, ein wenig am Rad zu drehen. Denn Beck steht natürlich nicht allein auf weiter Flur, wenn es darum gilt, so über Literatur von Männern zu schreiben, wie man sich das in diesen Kreisen bei Literatur von Frauen niemals anmaßen dürfte. Als "Samenstaugewinsel" und "weinerlichen Revanchismus einer verhausschweinten Männlichkeit" etwa beschimpfte schon vor Monaten die Süddeutsche Zeitung Martensteins Buch – eine mit ihrer Durchgeknalltheit ebenfalls sehr lustigen und insofern lesenswerten Rezension, die man wohl als weiteren indirekten Qualitätsbeweis für Martensteins Roman werten darf. Und da sagen Leute, es gebe im Jahr 2011 keine Tabubrüche und geglückten Provokationen mehr.

Weniger geiferndere und deshalb deutlich langweiligere Rezensionen des Buches findet man zum Beispiel auf n-tv und in der Literaturwelt.