Dienstag, Januar 18, 2011

Neuer Sarrazin-Konflikt schaukelt sich weiter hoch

Die Verabschiedung der 6. Klassen aus der Reinhold-Otto-Grundschule im Berliner Westend sollte ein schönes Fest werden, mit Reden, Musik und Sketchen. Sechs Kinder trugen im Sommer 2008 Erinnerungen an ihre Grundschulzeit vor. Als letztes kam in der überfüllten Aula ein Mädchen an die Reihe. Es stand auf der Bühne und griff sich selbstbewusst das Mikrofon:

"Die Schule machte mir sehr viel Spaß, außer im Fach Deutsch, denn meine Lehrerin war sehr streng, und vor allen Dingen schrak ich manchmal zurück, wenn sie so laut schrie, dass ihr Kopf leicht rot anlief."

Ursula Sarrazin, ihre Deutschlehrerin, saß im Saal mit versteinerter Miene. Einige Tage zuvor hatte der Klassenlehrer, der ihren Text vorher gelesen hatte, noch abends bei den Eltern des Mädchens angerufen und gedrängt, die Passage abzuschwächen oder wegzulassen. Die 13-Jährige weigerte sich und sorgte damals für einen kleinen Eklat.


Mit dieser kleinen Anekdote eröffnet heute Spiegel-Online einen ausführlichen Artikel zu diesem Thema. Und auch darine rfährt man, dass die Anhängerschar des Berliner Paares so reagiert, wie man es von ihr erwartet:

In der Grundschule wie auch bei Eltern trafen Schmäh- und Drohbriefe gegen Sarrazin-Kritiker ein. Man wolle "mehr Sarrazins" und "weniger Türken" an der Schule, heißt es da. Nach einer Drohung gegen den Schulleiter, der seine prominente Lehrerin seit längerem kritisiert, kam sogar der Staatsschutz. Zwei Beamte inspizierten die Computer im Sekretariat der Grundschule und sahen E-Mails durch, "um die Bedrohungslage einzuschätzen". Die Schulaufsicht stellte Strafanzeige. Lehrer rieten ihrem Chef, früher nach Hause zu gehen, um einem möglichen Angriff zu entgehen.

Auch der Vorsitzende des Berliner Landeselternausschusses, Günter Peiritsch, bekam den Zorn der Sarrazin-Fans zu spüren. Peiritsch hatte die Vorwürfe von Eltern in Interviews öffentlich gemacht und wird nun bezichtigt, sich in dieser "Schmierenkomödie" als "nützlicher Idiot" missbrauchen zu lassen. Eigentlich gehe es um Herrn Sarrazin, weil der so viel "völkischen" Zuspruch erhalte. "Man sollte immer an die Auswirkungen seines Handelns denken", heißt es in einem Drohbrief, "auch Sie haben eine Familie, die Ihren Schutz braucht."


Auf diese Weise zeigt sich leider immer wieder die Rechte in Deutschland: Sie eröffnet mit irgendwelchen Unsäglichkeiten, krakeelt, sobald diese zurückgewiesen werden, mit "Man wird doch noch mal sagen dürfen!" und "Zensur!" – und sobald sich die Vertreter einer Gegenposition selbst zu Wort melden, heißt es "Fresse, oder du bekommst eins aufs Maul!" Gerade als liberaler Autor, der auch zu stramm konservativen Medienmachern Kontakte hat, betrachte ich dieses Spektakel seit mittlerweile mehreren Jahren. Die Theorie einer spezifisch linken "Tugenddiktatur" lässt sich nicht halten – die Rechte würde sich noch schlimmer aufführen, wenn sie an der Macht wäre. Nur hätte das dann mit "Tugend" überhaupt nichts mehr zu tun.

Aber auch zum Thema "Redeverbote" weiß der Spiegel-Online-Artikel Erhellendes zu berichten:

Berlins Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD), der Thilo Sarrazin als langjährigen Finanzsenator gut kennt, nahm das Problem lange nicht in Angriff. Obwohl der Konflikt in internen Vermerken etwa als "Störung des sozialen Friedens" bewertet wird. Allerdings folgenlos. Stattdessen wurde ein Beamter, der Ursula Sarrazin versetzen wollte, auf einen anderen Posten abgeschoben. Direktor, Lehrer, Schulaufsicht - alle sind angewiesen zu schweigen. Nur Ursula Sarrazin darf sich weiter zu Wort melden.


Dass Jürgen Zöllner unwillig oder unfähig ist, sich diesem Problem zu widmen, wundert mich im übrigen nicht. Ich hatte früher schon Gelegenheit, diesen Mann kennzulernen: als Präsidenten der Universität Mainz. Wenn der Mann zuständig ist, das sage ich mal kühn voraus, dann wird sich dieser Konflikt noch lange Zeit hinziehen.