Donnerstag, September 30, 2010

Islamophobie entschlüsselt: Kultstatus durch Impotenz

In unseren Nachbarländern erstarken rechtsradikale und rechtspopulistische Parteien. In Deutschland indes fällt der politische Niederschlag der Islam-Debatte erstaunlich gering aus:

Udo Ulfkottes Versuch, eine Anti-Islam-Partei zu etablieren, ist gescheitert. Islamfeindliche Bewegungen formieren sich gegenwärtig nur auf lokaler Ebene in Gestalt der Parteien mit der Vorsilbe Pro. Sie strahlen eine fast bemitleidenswerte Erfolglosigkeit aus. Selbst einige Galionsfiguren der so genannten Islamkritik wie Ralph Giordano wollen mit ihnen nichts zu schaffen haben.


Woran liegt dieser frappierende Misserfolg begründet, fragt sich der Islamwissenschaftler Stefan Weidner, Chefredakteur der vom Goethe-Institut herausgegebenen Kulturzeitschrift Fikrun wa Fann. Er gelangt auf dem Internetportal Qantara zu folgender Antwort:

Der anti-islamische Protest bedarf der politischen Formierung überhaupt nicht. Er verfügt über ein Ventil, das ein viel besser geeigneter Ausdruck seiner – aus welcher Quelle auch immer stammender – Wut ist. Dieses Ventil ist nichts anderes als die Islamdebatte selbst. Die Medien, selbst in einer tiefen Orientierungskrise, geben einen dankbaren Resonanzboden für diese Art von Aufregung ab. (...) Solange sich die politisch impotente Anti-Islambewegung bis tief in den medialen Mainstream hinein ausleben kann, dürfen sich ihre Anhänger genügend repräsentiert und ernst genommen fühlen.


Das Problem der Bewegung sei, so Weidner, dass sie keine realistisch durchsetzbaren Ziele nennen könne, weshalb ihr gar nichts anderes übrig bleibe, als Tag für Tag denselben Sermon abzuspielen:

Der Kapitalismus kann ebenso wenig abgeschafft werden, wie die Muslime in Christen verwandelt oder aus dem Land geschafft werden können. Und natürlich ist es gerade die faktische Machtlosigkeit, die die Empörung schürt – mag sie nun sachlich begründet sein oder nicht. Das heißt freilich auch: Mit Argumenten ist hier nichts zu bewirken. Es geht längst nicht mehr um die Sache, sondern um den Protest als Protest. Um unanfechtbar zu wirken, hat er sich hinter einer Dogmatik von großer weltanschaulicher Geschlossenheit verschanzt.

(...) Gerade diese Unzugänglichkeit für Argumente ist es, die unter vielen Intellektuellen und Verantwortlichen in den Medien den Kultstatus der Bewegung ausmacht. Es tut gut, endlich einmal eine klare Meinung haben zu dürfen, nicht ständig differenzieren und lavieren zu müssen. Am Widerspruch, der ihr hier und da noch entgegenschlägt, wächst sie nur, und wenn es ein begründeter Widerspruch ist, erhöht sie die Lautstärke und wächst damit erst recht.


Das führt Weidner zu einer weiteren Frage:

Wenn man aber mit der Anti-Islambewegung nicht verhandeln kann, weil sie keine satisfaktionsfähigen politischen Ziele kennt; wenn man mit ihr nicht argumentieren kann, weil sie von Unterscheidungen nichts wissen will; wenn man sie nicht beschwichtigen kann, weil sie ihre Empörung als Empörung ausleben will und jede Beschwichtigung als Appeasement-Politik geißelt, wie sollen die Nachdenklicheren unter unseren Zeitgenossen sich ihr gegenüber noch verhalten?


Die Antwort darauf gibt Weidner hier.