Donnerstag, September 23, 2010

Frauenmagazin an Alice Schwarzer: "Sie legen die Basis für einen salonfähigen Rassismus"

Das multikulturelle Frauenmagazin "Gazelle" richtet an Alice Schwarzer in einem offenen Brief deutliche Worte:

Mit Ihrer Zweiteilung in ein Wir (= der Westen, die weiße Mehrheitsbevölkerung) und die Anderen (= der rückständige Orient) grenzen Sie einen Teil der Deutschen aus. Legen damit die Basis für einen aktuell salonfähigen kulturellen Rassismus. Das macht uns Angst. Auch wir, die als Menschen mit Zuwanderungsgeschichte bzw. andere Deutsche bezeichnet werden haben Ängste, Wünsche, Bedürfnisse und Interessen, über die wir gerne miteinander diskutieren wollen. Deutschland ist auch unser Land. Wir möchten es mitgestalten und teilhaben. Wir wollen unsere Kenntnisse, Talente und Wissen für dieses Land einbringen.


Ähnliche Vorwürfe wurden gegen Schwarzer bereits im Sommer 1993 erhoben, als die "Emma" in einem Dossier den Islam als "die orientalische Variante des Faschismus" beschimpfte. Ich zitiere hier der Einfachheit halber einmal die zusammenfassende Darstellung in meinem 2001 erschienenen Buch Sind Frauen bessere Menschen?:

Die deutsche Frau war demnach einer ständigen Bedrohung durch den muslimischen Mann ausgesetzt - zum Beispiel, weil er sie als Arzt nicht angemessen untersuchen möchte: »Eine Frau ruft einen Notarzt. Der ist Moslem. Ihr fast tödliches Pech.« Eine Dokumentation der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Titel »Sexismus und Rassismus in der Emma?« hält die Reaktionen darauf fest: Endlich war auch bei etlichen feministischen Organisationen das Fass übergelaufen, und sie sahen keine andere Möglichkeit mehr, als sich von der »Emma« öffentlich zu distanzieren. »Wir halten diese Aussagen für offen rassistisch«, schrieben zehn Zeitschriften und Gruppen in einem offenen Brief. Die Frauenzeitung München sprach von »Nazipropaganda«, die Weibsbilder aus Köln erkannten »rassistische Hetze«. Mehrere Frauengruppen riefen gar zum Boykott der Zeitschrift auf. Leider waren die »Emma«-Redakteurinnen längst nicht mehr gewohnt, mit Menschen anderer Ansicht zu diskutieren: Die Kritik sei absurd, »Emmas« Kritikerinnen hätten den Feminismus schlichtweg nicht kapiert. Die vom Dritte-Welt-Journalistennnetz und der Heinrich-Böll-Stiftung getragene Initiative Mediawatch lud die »Emma«-Redaktion zu einem offenen Dialog ein. Ein Termin musste wegen von Alice Schwarzer behaupteter zeitlicher Schwierigkeiten mehrfach verschoben werden, endlich sagte »Emma« ihre Beteiligung ab: »Heute müssen wir vor dem Hintergrund der Publikationsflut gerade auch in Ihrem politischen Spektrum davon ausgehen, dass an einer kritisch-solidarischen Auseinandersetzung kein Interesse besteht.«


In den letzten Jahren ist es allerdings in bestimmten Kreisen Mode geworden, den Islam mit dem Faschismus gleichzusetzen. Alice Schwarzer empfindet diese Entwicklung vermutlich als späte Genugtuung.