Montag, März 22, 2010

"Herr Gesterkamp, kehren Sie zum argumentativen Diskurs zurück"

Nachdem der Publizist Thomas Gesterkamp vor einigen Wochen versucht hatte, die Männerrechtsbewegung in die braune Ecke zu schieben, gibt es hierzu jetzt einen offenen Brief von Dr. Matthias Stiehler, dem Vorsitzenden des Dresdner Instituts für Erwachsenenbildung und Gesundheitswissenschaft:

Sehr geehrter Herr Dr. Gesterkamp,

mehrfach musste ich in letzter Zeit Artikel von Ihnen lesen, die Männerrechtler als rechtsextrem darstellen. Grundlage war eine Expertise, die Sie für die Friedrich-Ebert-Stiftung angefertigt haben. Auch wenn ich manche Kritiken von Ihnen teile, finde ich die diffamierende Pauschalisierung, mit der Sie hausieren gehen, weder expertisenreif noch nützlich. Sie tun im Grunde das, was Sie den „Gegnern“ vorwerfen: Sie ideologisieren und versuchen sie damit mundtot zu machen.

Ich habe selbst einen Beitrag in dem Buch „Befreiungsbewegung für Männer“ geschrieben. Trotzdem wollte ich mich der Initiative AGENS nicht anschließen. Der Grund dafür ist, dass mir die Kritik dieser Initiative zu einseitig, manchmal zu polemisch und das „MANNifest“ zu flach ist. Die Auseinandersetzung damit ist also wirklich gut und wichtig. Aber wenn Sie glauben, diese mit der pauschalen Behauptung, das sei „Geschlechterkampf von rechts“, abtun zu können, dann verlassen Sie die argumentative Ebene und diffamieren. Sie verstehen vielleicht, dass ich als ehemaliger DDR-Bürger sehr empfindlich auf solch eine Propaganda reagiere.

Ich möchte mit dieser Einschätzung nicht in Abrede stellen, dass es auch Rechte gibt, die sich des Männerthemas bemächtigen. Vielleicht – ich kann das selbst nicht wirklich einschätzen – nutzt die Rechte dieses Thema für ihre Interessen. Aber das bedeutet doch nicht, dass damit alle, die sich gegen Einseitigkeiten in der Geschlechterdiskussion zur Wehr setzen, automatisch rechts sind. Es bedeutet für mich, der ich meine Wurzeln in der linken Bürgerbewegung sehe, vielmehr, dass die linken Institutionen, zu der ich auch die SPD und damit die Friedrich-Ebert-Stiftung zähle, dieses Thema sträflich vernachlässigen. So ist die jahrelange Weigerung des SPD-geführten Bundesgesundheitsministeriums, einen Männergesundheitsbericht herauszugeben, eben nicht als Kampf gegen Feminismusfeindlichkeit und rechtsextreme Ansichten zu verstehen, sondern als irrationale Weigerung, über die eigenen festgefahrenen Vorstellungen hinwegzukommen. Wenn nun die schwarz-gelbe Regierung einen anderen Kurs einschlägt, dann sehe ich das keineswegs als Sieg der Rechten, sondern als Niederlage der (meiner!) Linken. Und genau diesen Blick vermisse ich bei Ihnen.

Eine Expertise, die sich mit dem Männerthema in seinen unterschiedlichen Schattierungen auseinandersetzt, hätte darauf hinweisen müssen, dass sich derzeit an vielerlei Punkten unserer Gesellschaft alte Gewissheiten zu Ideologien verfestigt haben. Das gilt auch für den Feminismus. Es ist doch keine Schande festzustellen, dass sich hier Pfründe entwickelt haben, die mit aller Macht verteidigt werden. Das bedeutet ja nicht gleich, dass Frauenbewegung an sich falsch wäre. Aber ein ideologischer Feminismus ist falsch und konservativ. Und „ideologischer Feminismus“ bedeutet, dass das Urteil bereits vor der Analyse feststeht bzw. sich auf veraltete Analysen stützt. Und dass er zu oft die gesellschaftliche Deutungshoheit errungen hat, habe ich selbst in mehreren Veröffentlichungen beschrieben.

Ich plädiere daher unbedingt für einen argumentativen Geschlechterdiskurs, der ergebnisoffen ist. Das bedeutet selbstverständlich, Benachteiligungen von Frauen zu erkennen – aber ebenso auch von Männern. Und wer der Überzeugung ist, Letzteres gäbe es nicht, kann dem doch recht beruhigt entgegensehen. Sie wissen, dass ich als Gesundheitswissenschaftler natürlich eine differenzierte Sicht auf die sog. „patriarchale Dividende“ habe.

Ich plädiere vor allem aber dafür, dass es eine offene Männerdebatte gibt. Zu sehr hat sich die Kritische Männerforschung ideologisiert und zu sehr entwickelt sich zurzeit eine ebenso ideologisierte Gegenbewegung. Falls Letztere wirklich nach rechts abdriften sollte, dann deswegen, weil die Linke beim Männerthema versagt bzw. selbst zu Konservativen werden. Genau dem leisten Sie mit Ihrer Expertise Vorschub.

Dabei gibt es natürlich auch jetzt schon den argumentativen Diskurs. Denken wir an Hans-Joachim Lenz, Reinhard Winter, Gunter Neubauer und andere. Wenn Sie die Debatte in Swichboard (Heft 190) lesen, wird Ihnen der Unterschied Ihres Artikels zu deren Sichtweise auffallen. Sie radikalisieren die Debatte und sprechen Denkverbote zu Positionen aus, die ich selbst nicht als rechts ansehen kann.

Sehr geehrter Herr Gesterkamp, ich bitte Sie, zum argumentativen Diskurs zurückzukehren.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Matthias Stiehler
Vorsitzender des Dresdner Instituts
für Erwachsenenbildung und Gesundheitswissenschaft e.V.


Über einigen anderen Hickhack bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo Gesterkamps Pamphlet erschienen war, berichtet heute Endstation Rechts. (Was ist denn seit einiger Zeit mit dieser Stiftung los? Die war doch früher hochangesehen?)