Freitag, Juli 31, 2009

Felicia Langer: "Wir sind das andere Gesicht Israels"

Nachdem auf den Seiten des "Tagesspiegel" Felicia Langer wochenlang niedergemacht wurde, darf sie dort jetzt tatsächlich selbst zu Wort kommen:

„So verletzende Anschuldigungen und Verleumdungen habe ich selten erlebt“, sagt Langer. In Israel, wo sie als erste israelische Anwältin nach dem Krieg von 1967 palästinensische Häftlinge verteidigt hat, war sie zwar auch nicht unumstritten. Aber die Kritik sei nicht „so vehement und schrecklich“ gewesen. Besonders trifft sie der Vorwurf, sie habe Israel mit Nazi-Deutschland verglichen. Das habe sie nie gesagt, und der Vergleich sei natürlich falsch. Generell bedauert sie in Deutschland, dass Kritik an Israel oft als „Antisemitismus“ hingestellt werde. „Dieser Missbrauch des Antisemitismus ist tragisch“, findet Langer.

(...) Was nicht stimme: Sie habe niemals einen Palästinenser als Anwältin verteidigt, der einen israelischen Zivilisten verletzt oder getötet habe. Auch die Angriffe durch Kassam-Raketen auf Israel habe sie kritisiert. Aber sie sieht in der Besatzung den „Inbegriff von Gewalt“, der Gegengewalt erzeugt. Wenn sie immer wieder und ohne Rücksichtnahme auf Befindlichkeiten von Teilen der israelischen Gesellschaft diese Politik anprangert, „dann tue ich das, weil dies nicht nur für die Palästinenser eine Tragödie ist, sondern auch für Israel“.

Bloggerin über Islamophobie in Deutschland: "Seit dem Mord reden wir offener"

Nach der Bluttat an Marwa el Sherbini in Dresden tauschen sich Kopftuchträgerinnen mehr über ihre Diskriminierung im Alltag aus, sagt die Autorin Kübra Yücel. Die CDU ist für sie nicht mehr wählbar.


Die "tageszeitung" hat Kübra Yücel im Interview.

Wichtiges Signal gesetzt: "Islamophobie rüttelt an Grundfesten unserer Demokratie"

Ein landesweites Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus ist in Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen worden. Dem Netzwerk, das regelmäßig tagen werde, gehörten mehr als 40 Organisationen und Behörden an, teilte Familien– und Integrationsminister Armin Laschet (CDU) in Düsseldorf mit. Ziel sei, Informationen über rechtsextremistische Strategien und Aktivitäten vor Ort zu analysieren und stärker für das Land zu bündeln.

(…) Angesichts des aus Fremdenfeindlichkeit verübten Mordes an Marwa El-Sherbini in Dresden ist dies ein gutes und wichtiges Signal in Richtung Muslime und bedeutet: Wir lassen Euch nicht alleine, Islamophobie geht uns alle an, weil sie an den Grundfesten unserer Demokratie rüttelt.

(…) Indes macht sich Laschet auch ernsthafte Sorgen wegen des Klimas in Bezug auf Deutschtürken, Muslime und Migranten. Der Minister bedauert wegen des Wegzuges hochqualifizierter Einwanderer bzw. deren Kinder. Und überhaupt in Nordrhein-Westfalen seien im ersten Halbjahr 2008 nur elf hoch qualifizierte Ausländer zugewandert. „Zugleich sind die meisten jungen Türken, die unser Land wieder verlassen, hoch qualifiziert und machen dann in der Türkei eine tolle Karriere.“ Der Integrationsminister fordert deshalb eine „Kultur des Willkommenseins“.

Als Hauptgrund nennen z.B. türkischstämmige Akademiker - das ist das Ergebnis vieler renommierter Untersuchungen seit Jahren (zuletzt das Instituts futureorg oder das Zentrum für Türkeistudien) - Diskriminierungs- und Benachteiligungserfahrungen.

Laut SPIEGEL gibt es eine regelrechte Bewegung, die türkischstämmige Akademiker in Deutschland erfasst hat. Viele der klügsten Köpfe der rund 2,7 Millionen Menschen starken türkischen Community werden, wie einst ihre Eltern, zu Migranten - allerdings in entgegengesetzter Richtung: Sie kehren Deutschland den Rücken, weil sie sich hier unerwünscht fühlen und anderswo bessere Chancen sehen. Aus Kindern von Einwanderern werden Auswanderer.


Den vollständigen Artikel findet man in der Islamischen Zeitung.

Donnerstag, Juli 30, 2009

Anti-Langer-Kampagne: Wie das Spektakel zum Debakel wurde

Das Nahost-Blog kommentiert:

Eigentlich lohnt es sich nicht, die Debatte um das Bundesverdienstkreuz für Felicia Langer hier aufzuwärmen — allzu tumb sind die Argumente derer, die einen Skandal darin sehen, daß eine langjährige Kämpferin für die Rechte der Menschen in den besetzten Gebieten mit dieser Ehrung ausgezeichnet wird. Und letztlich scheint es ihnen selbst im tiefsten Sommerloch nicht gelingen, ihr Anliegen wirklich auf die Agenda zu bringen.


In der Tat: Nicht mal im tiefsten Sommerloch hat diese Medienkampagne gezündet! Auch ich wüsste nicht, wie man sie noch retten könnte. Soll Benjamin Weinthal den siebten Propaganda-Artikel in die Welt jagen, nachdem schon die bisherigen Beiträge außer in der ohnehin schon überzeugten eigenen Bloggergemeinde auf irgendeine nennenswerte Resonanz stießen? Soll nach Broders Anwalt jetzt auch seine Putzfrau einen Artikel darüber verfassen, wie entsetzlich Felicia Langer doch sei? Soll Broder mit weiteren Beschimpfungen gegen Boris Palmer nachkarten oder noch stärker versuchen, dessen Vater durch den Schmutz zu ziehen? Die "Welt" und der "Tagesspiegel" stehen ja offenkundig für jeden Unfug bereit, aber deren Leser dürften der Sache allmählich sehr überdrüssig sein.

Ich habe bekantlich in mehreren Büchern und Artikeln die Mechanismen und Straegien der erfolgreichen Skandalisierung analysiert. Nach meinem Eindruck hat sich das Spektakel um Felicia Langer aus folgenden Gründen zum Debakel entwickelt:

- Vor zehn Jahren hätten Broders und Giordanos Stimme noch Gewicht gehabt, weil sie damals doch irgendwie als moralische Instanzen galten. Nach deren Umschwung in Sachen Fremdenfeindlichkeit hin zur Position der radikalen Rechten ist dieses moralische Gewicht bei etlichen Lesern gleich null. Wer Felicia Langer als "schrillste Fanfare" gegen Israel herabsetzen will, sollte besser nicht selbst die "schrillste Fanfare" gegen den Islam und Muslime darstellen.

- Das ist jetzt nicht das dritte oder vierte, sondern grob geschätzt das siebzigste Mal, innerhalb weniger Jahre, dass eine Person, die Israels Handeln kritisiert, als "antisemitisch" angegriffen wird. Zugegeben: Dieses Ritual ist für das neokonservativ-antideutsche Lager inzwischen nicht nur Argumentersatz, es stellt auch ein Glaubensbekenntnis dar, das eine Gruppenbindung verstärkt. Die meisten Deutschen sind aber weit liberaler als dieser Klüngel und reagieren auf solche Pawlowschen Reflexe inzwischen nur noch mit Augenverdrehen. Auch dass Dieter Graumann alle paar Wochen vor Empörung über Kritik an Israel an die Decke geht, nimmt kaum noch jemand ernst. Selbst im Sommerloch erzeugt dieses Theater nur noch Gähnen.

- Broder ist mittlerweile offenbar dermaßen ergriffen von seiner eigenen Brillanz, dass er sich wirklich dumme Fehler leistet. Der wohl fatalste war die Bloßlegung seiner journalistisch äußerst fragwürdigen Methoden, als er seinen Mailwechsel mit Boris Palmer veröffentlichte. Diese Nummer erinnerte schon sehr an Christoph Daums Vorlegen einer Haarprobe, um sie auf Kokain untersuchen zu lassen, begleitet von Daums grotesker öffentlichen Fehleinschätzung: "Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe". Prompt blieben auch auf Broders Schnitzer hämische Kommentare nicht aus – so etwa die "Freitag"-Schlagzeile "Ist Broder doof? Oder nur doof?" (Anscheinend eine Anspielung auf die damalige "Bild"-Schlagzeile "Ist Eva Herman braun oder nur doof?") Die einzige erklärung, die ich für diesen Schachzug habe, ist, dass Broder damit Palmers eigener Offenlegung des Mailwechsels zuvorkommen wollte. Schon kurz zuvor hatte schließlich das "Schwäbische Tagblatt" auszugsweise über diese Mails berichtet.

- Früher hätte man Presseartikel aus Israels unwirscher Reaktion auf das Bundesverdienstkreuz für felicia Langer melken können. Dummerweise ist die jetzige israelische Regierung in Teilen rechtsradikal, das ging hierzulande auch breit durch die Medien, so dass keinen Menschen richtig interessiert, was ein Wasserträger des israelischen Außenministers von sich gibt. Auch die Menschenrechtsverletzungen, unter denen die Palästinenser zu leiden haben, sind wohlbekannt.

- Man könnte eventuell noch für ein Aufflackern des Medieninteresses sorgen, wenn Ralph Giordano tatsächlich noch sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben würde, "um nicht mit Langer in einer Reihe zu stehen". Alle anderen Kreuzträger, die dies angedroht haben, sind zu wenig bekannt, um über die Spalte "Vermischtes" hinauszugelangen. Aber es ist gut möglich, dass selbst eine entsprechende Aktion Giordanos inzwischen keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken würde. Und da, wie schon in einer frühen Phase der Debatte ein Kommentator treffend bemerkte, Giordano viel zu eitel sein dürfte, um sich von so einer Auszeichnung zu trennen, ist damit wohl kaum zu rechnen.

- Erhard Arendts exakte und zeitnahe Nachzeichnung der einzelnen Schritte, mit denen ein Skandal herbeigeführt werden sollte, wurde vermutlich auch von den zuständigen Personen gelesen. Es ist dadurch sehr offensichtlich, dass immer wieder dasselbe Häuflein von vielleicht einem Dutzend Leuten durchsetzen möchte, was in Deutschland erlaubt ist und was gefälligst nicht. (Ironischerweise sind das dieselben Leute, die sich als Kämpfer gegen die politische Korrektheit inszenieren wollen.) Broder braucht mittlerweile nur noch seinen Namen zu sagen, damit Leute wie Boris Palmer wittern, was hier gespielt wird. Kein Zauberer kann sein Publikum mit ständig denselben Tricks verblüffen, kein Komiker es mit ständig denselben Witzen zum Lachen bringen. Dass Neokonservative wie Broder, Joffe & Co. auf eine Kritikerin Israels dreinschlagen ist ungefähr so überraschend wie wenn Alt-Stalinisten in den achtziger Jahren einen Kritiker der Sowjetunion durch den Schmutz gezogen hätten, nachdem diesem ein deutscher Verdienstorden verliehen worden war. Auch die neokonservative Ideologie hat ihre Zukunft bereits hinter sich.

- In der rückhaltlos pro-israelischen Bloggerszene zwischen "Politically Incorrect" und "Spirit of Entebbe" sind Beschimpfungen unter der Gürtellinie so alltäglich geworden, dass die Betreffenden selbst anscheinend gar nicht mehr realisieren, wie sehr sie sich damit selbst outen. In zivilisierter Gesellschaft hingegen braucht man nur Broders Beschimpfungen im Verein mit den Inhalten der anonymen Hassmails vorzulesen, und schon wird klar, dass die Betreffenden alles andere als eine faire, sachliche Auseinandersetzung zu führen versuchen. Wer soll sich vor diesem Hintergrund noch von irgendwelchen Schmähungen und Unterstellungen zu Lasten Felicia Langers überzeugen lassen?

Ich erwarte zwar einiges von Broders Einfallsreichtum - auch in Situationen, wo es zunächst nicht so gut für ihn aussieht. Aber ich wüsste wirklich nicht, wie man dieses Ding noch drehen kann.

Neu auf meiner Blogroll

Per Zufall entdecke ich heute ein noch sehr junges Blog aus meiner eigenen (früheren) Uni:

Frau Langer hat als jüdisch-israelische Anwältin palästinensischer Rechte eine wichtige Brücke zwischen den Konfliktparteien geschlagen, die ihre besondere Tragfähigkeit aus der Glaubwürdigkeit bezieht. Dabei stellt sie die Verbindung über die Geltung der Menschenrechte her, die für alle, Israelis und Palästinenser, für Juden, Moslems und Christen in der Region in gleicher Weise gelten. Mit ihren Forderungen hat sie die Interessen beider Seiten im Blick – eine Perspektive, durch die sie sich von ihren Kritikern abhebt. Dadurch hat Frau Langer Bewegung in die Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern und Deutschen gebracht.


Offener Brief an Horst Köhler

Wer meint, als Motivation für die Proteste gegen die israelische Kriegführung in Gaza komme allein Antisemitismus in Frage, der scheint an der Tötung von über 1400 Menschen, überwiegend Zivilisten, und der völkerrechtswidrigen Bombardierung ziviler Ziele (von Krankenhäusern, Schulen, Moscheen und v. a. Wohnhäusern) an sich nichts Schlimmes zu finden.


Zur Friedensdemonstration der Mainzer Initiative für Frieden in Gaza

Schon aus lokalpatriotischen Gründen, aber natürlich vor allem wegen des Inhalts, habe ich mich entschieden, dieses Blog auf meine Blogroll aufzunehmen. Ärgerlich ist nur, dass ich im Juni eine Diskussionsveranstaltung mit mehreren guten Bekannten (Abraham Melzer, Anis Hamadeh, Thomas Deichmann) verpasst habe. Von Thomas Deichmann bekam man bestimmt ein paar klügere Pro-Israel-Argumente zu hören als von den lautstarksten Verteidigern der israelischen Politik.

Mittwoch, Juli 29, 2009

Boris Palmer: Keine Anzeige wegen Beleidigung gegen keifenden Broder

Wenn immer ihnen die Argumente ausgehen (was in der Regel schnell der Fall ist), hauen die Anhänger des Bedingungslos-Pro-Israel-Lagers mit Beschimpfungen um sich, von denen "Antisemit!" noch die harmloseste ist. Über Henryk Broders neuesten Rappel berichten die "Stuttgarter Nachrichten":

Dorftrottel, Jammerlappen, eingebildeter Jude –Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (37) hat sich zuletzt einiges anhören müssen. Und zwar nicht von irgendwem. Der berühmt-berüchtigte Publizist Henryk M. Broder (62), hat ihn so bezeichnet.


Hier geht es weiter. Lustig ist, dass der Verfasser des Artikels erst mal ausführlich Broders kuriose Preise und Ehrungen aufführen muss, damit ihn keiner der Leser versehentlich für einen tourette-geschädigten Sonderling hält.

Geert Wilders bald Ministerpräsident?

Die "Neue Zürcher Zeitung" berichtet über den aktuellen Rechtsruck in Holland. Zwei Auszüge aus dem Artikel:

(…) Die Niederlande liefern ein besonders krasses Beispiel für den rasanten Verlust politischer Kultur. Gleichzeitig erlebte das Land auch eine dramatische Schwächung religiöser Identitäten, die bis weit in die 1980er Jahre hinein von grundlegender Bedeutung für die spezifischen kulturellen und politischen Identitäten in der auf konfessionellen Säulen ruhenden Gesamtgesellschaft waren. Jetzt ist es gerade dieser durch die Folgen von Modernisierungs- und Säkularisierungswellen hervorgerufene Phantomschmerz, den Wilders sehr geschickt zu nutzen weiss, wenn er seine Projektion eines drohenden Islamofaschismus unter Wähler bringt, denen ja gerade ihr eigenes Leben jeden Tag den radikalen Verlust traditioneller Wertorientierungen vor Augen führt. Konstruktives hört man von Geert Wilders dazu nicht, er inszeniert die Spektakel zu diesem Verschwinden.

(…) Der Historiker Urs Altermatt hat Kriterien entwickelt, mit denen man Rechtsextremismus charakterisieren kann: Rassismus, Diskriminierung, Autoritarismus und gewaltaffine Rhetorik gehören wesentlich dazu. Eine politische Bewegung, die bestimmten Bevölkerungsgruppen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit die Rechtsgleichheit versagen will, die keine demokratischen Strukturen und nur ein Mitglied mit unbegrenzten Weisungsbefugnissen hat (Geert Wilders); ein Abgeordneter, der Moscheen abreissen und Muslime ausweisen will und in Interviews von ethnisch homogenen und «migrantenfreien» Niederlanden träumt: Wie sollte man eine solche Bewegung und einen solchen Parteichef politisch nicht auf der extremen Rechten einordnen?

Dienstag, Juli 28, 2009

Islamophobie: "Was kommt nach den Emotionen?"

Offenbar haben es Muslime genauso schwer, ein muslimfeindliches Mediennetzwerk aufzubrechen wie Männer es mit unseren männerfeindlichen Medien haben. In beiden Fällen werden immer wieder herabsetzende Klischees abgespult und eine Handvoll vorurteilsbeladener JournalistInnen spielt sich gegenseitig die Bälle zu, während die große Zahl der Betroffenen es nicht auf die Reihe bekommt, sich dagegen erfolgreich zu verwahren. Omar Abo-Namous schildert das Problem in der "Islamischen Zeitung":

Zu einem nicht unbeträchtlichen Teil schaffen es aber auch Muslime selbst immer wieder, dass ihre Anliegen, Sorgen und Forderungen nicht den Sprung in eine genuine gesellschaftliche und politische Debatte schaffen. Angesichts dessen ist es nur konsequent, wenn die Dresdener Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) ihren Urlaub wegen einer toten Muslima nicht abbrechen wollte. Denn einen Verlust ihrer politischen Reputation aufgrund sachlich vorgebrachter und deswegen ernst zu nehmender Kritik hat sie nicht zu befürchten.

Mindestens 18 Kundgebungen sollen zum Anlass der Ermordung Marwa El-Sherbinis über Deutschland verteilt stattfinden. Teilweise haben sie bereits stattgefunden. In ihnen werden unter Anderem tendenziöse Berichterstattung in Bezug auf Muslime angeprangert, muslimfeindliche Gesetze und Praktiken kritisiert und wiederholt zur verstärkten Teilnahme an den Kundgebungen aufgerufen; quasi aus Selbsterhaltungstrieb. Bislang sind die Versammlungen nämlich nicht gerade von Erfolg gekrönt. Die Organisatoren klagen über mäßige Teilnehmerzahlen weitab von den erhofften Tausenden, und ein Widerhall in der Gesamtgesellschaft findet kaum statt. Wie auch, wenn fast ausschließlich Werbung für ein muslimisches Publikum gemacht wurde, die benutzte Sprache voller muslimischer Floskeln und Anspracheformen ist und das Ziel der Kundgebungen für viele Unbetroffene überhaupt nicht nachvollziehbar ist? Man muss fairerweise anmerken, dass die Kundgebungen und Demonstrationen allesamt - soweit man das überprüfen kann - in geordneten Bahnen verliefen und somit adäquate Formen der Ausübung des Demonstrationsrechts darstellen. Dies vorausgeschickt, ist dennoch die Sinnhaftigkeit der Aktivitäten stark in Zweifel zu ziehen, da sie ziellos oder doch zumindest nicht zweckdienlich sind. Sie sind nicht von Ausdauer geprägt und bieten sich für eine mediale Falschdarstellung - „wütende muslimische Masse“ - geradezu an.


Welche Strategie könnte stattdessen sinnvoller sein? Auch das verrät der Artikel.

Vorsitzender der deutsch-israelischen Gesellschaft wirft das Handtuch

Die schwachsinnige Kampagne gegen Felicia Langer hat immerhin eines erreicht: dass ich zu den aktuellen Entwicklungen in der Israel-Debatte doch wieder häufiger blogge, als ich eigentlich vorhatte. Und schon trudelt die nächste kleine Sensation ein: Der bisherige Vorsitzende der deutsch-israelischen Gesellschaft in Ulm gibt den Vorsitz nach zwölf Jahren ab, weil er die aktuelle Politik Israels nicht länger vertreten will!

Die Südwest-Presse berichtet und kommentiert:

(…) Umso erstaunlicher ist, dass Müller jetzt seine unbedingte Solidarität für die Sache des Staates hinter sich gelassen hat. Dass er beginnt, zwischen dem Land und dem Staat Israel auf der einen Seite und der jeweiligen Regierung und deren Politik auf der anderen zu unterscheiden. Vielen anderen im Verein stünden solche Differenzierungen ebenfalls gut an. Sie fänden mehr Zuspruch in der Öffentlichkeit, wenn sie ihre Ziele nicht so engstirnig und verbohrt verfolgten.


Das trifft natürlich nicht nur auf die deutsch-israelische Gesellschaft zu ... Aber vermutlich werden die betreffenden Personen Müllers Entscheidung als einen plötzlichen Ausbruch von Antisemitismus betrachten. Andere Gründe für so harte Kritik an Israels Handeln sind natürlich undenkbar.

Montag, Juli 27, 2009

"Das islamische Recht" gibt es nicht

Denkt der Deutsche an Recht und Gesetz, so geht er stets davon aus, dies auch in einer verschriftlichten und einer verbindlichen Form vorzufinden. So fallen in Diskussionen über den Islam gerne Sätze wie: "Das steht so im Koran" oder "Das steht so in der Scharia". Doch weder gibt es "das" islamische Recht, noch ist es kodifiziert. Mathias Rohe, Jurist und Islamwissenschaftler, räumt in seinem umfassenden und fundierten Buch mit so manchem Vorurteil über das islamische Recht auf, das in westlichen Ländern sehr gerne mit drakonischen und gegen die Menschenrechte verstoßenden Strafen in Verbindung gebracht wird.


Andere Leute können sich bei ihren Rezensionen kürzer fassen als ich.

Sonntag, Juli 26, 2009

Buchvorstellung: "Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost"

Nach einer Lesung aus ihrem Buch Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte", in der sie sich mit der NS-Vergangenheit ihrer Großeltern auseinandergesetzt habe, berichtet Alexandra Senfft, sei ein älterer Herr aus dem Publikum auf sie zugetreten: "Er bedankte sich für meine Arbeit und kam dann auf die von mir vorgetragenen Auszüge aus meinem letzten Kapitel zu sprechen. Ich hatte darin über die Funktion von Feindbildern und Sündenböcken, über gesellschaftliche Polarisierungen sowie über die Dynamik von Schuldzuweisungen und Schuldabwehr nachgedacht. Warum ich neben Antisemitismus und Rassismus auch Islamophobie erwähnt hätte?, fragte der Herr. In diesem Punkt könne er mir nicht zustimmen, fuhr er sogleich fort, und bevor ich antworten konnte, belehrte er mich auch schon über die Gefahren des Islam. Während er auf mich einsprach, zog er mit einer missionierend wirkenden Geste eine ältere Ausgabe des SPIEGEL aus seiner Tasche – 'Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung' lautete der Titel, den er mir provokativ vor die Nase hielt. Das Titelbild zeigte einen türkischen Halbmond über dem Brandenburger Tor. Meine Versuche, ihn zu bremsen und zu differenzieren, prallten an seiner Erregung ab. Ich hatte den Eindruck, hier fand eine Übertragung statt: Die NS-Vergangenheit scheinbar bearbeitet, hatte dieser Mann ein neues Feindbild geschaffen – die Muslime und den Islam. Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass er auch die 'multikulturelle Gesellschaft' in Deutschland für gescheitert erklärte."

Dieser Bericht stammt aus dem Vorwort der von Alexandra Senfft und John Bunzl herausgegebenen Anthologie Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost. Die beiden Leitfragen dieses Buches, in dem Aufsätze internationaler Fachleute von Boston und London über Kairo und Tel Aviv bis zu Bremen und Wien gesammelt sind, lauten: Gibt es einen "Neuen Antisemitismus" – und was ist darunter zu verstehen? Gibt es das Phänomen der "Islamophobie" – und wie kommt es zum Ausdruck? Dabei widmet sich etwa die Hälfte der Beiträge der Situation in Europa, die andere Hälfte dem Konflikt im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern. Wenn Alexandra Senfft in ihrem Einleitungsabsatz bereits den psychoanalytischen Begriff der "Übertragung" verwendet hat und im Titel des Buches den sinnverwandten Begriff der "Projektion", dann ist dies richtungsweisend für den gesamten Band: denn um Verschiebungen und Rollenwechsel, ob auf psychologischer Ebene oder real, geht es in zahlreichen Beiträgen.

Fünf solcher Beiträge möchte ich in dieser Rezension beispielhaft vorstellen.

1.) Matti Bunzl: "Zwischen Antisemitismus und Islamophobie"

Der Professor für Anthropologie Matti Bunzl hatte mit Antisemitism and Islamophobia. Hatreds Old and New in Europe bereits 2007 eine ebenfalls lesenswerte englischsprachige Anthologie zu diesem Thema zusammengestellt. In seinem aktuellen Beitrag knüpft Bunzl an die in diesem Vorgängerband ausgeführte These an, während das Judentum zur Hochphase des europäischen Antisemitismus als Bedrohung für die Reinheit des Nationalstaats betrachtet wurde, werde aktuell der Islam als Bedrohung für das geeinte Europa präsentiert. Dementsprechend gebe es heutzutage zahlreiche Konferenzen und Regierungserklärungen, in denen man sich dem bedingungslosen Kampf gegen den Neuen Antisemitismus und für das Existenzrecht Israels verschriebe. Wo der europäische Nationalstaat politisch hinfällig geworden ist, gilt dasselbe für den Antisemitismus. Für Islamophobie hingegen existiere bislang kein entsprechendes Problembewusstsein.

Dies sei um so bedenklicher, als die verschiedenen rechtsradikalen Parteien Europas längst vom Feindbild Jude zum Feindbild Moslem umgeschwenkt seien. Bunzl verdeutlicht dies an Österreichs FPÖ: "Als die Freiheitliche Partei ihren traditionellen Nationalismus Mitte der 1990er Jahre aufgab, fasste sie ein neues Projekt ins Auge. Statt zur Hüterin der ethnischen Gemeinschaft stilisiert sie sich nun zur Bewahrerin Europas. (…) Mit Slogans wie 'Stopp der Überfremdung' erzeugte die FPÖ Angst vor Islamisierung und bot sich als ihr Bekämpfer an. Juden wurden, wenn überhaupt, als Verbündete im Kampf um Europas Zukunft interpretiert. 'Aus dem Bereich meiner jüdischen Freunde", erklärte ein prominenter Politiker der FPÖ im November 1999, 'erlebe ich, dass die entsetzt sind, entsetzt über das hohe Maß an muslimischer Präsenz'." Dabei könne die FPÖ mit dieser Linie durchaus politische Erfolge vorweisen. So standen vor den Europawahlen 2004 die mit der FPÖ konkurrierenden Parteien einem Beitritt der Türkei aufgeschlossen gegenüber. Nachdem die FPÖ dieses Thema in Gestalt einer offen islamophoben Diskussion zum Schwerpunkt ihres Wahlkampfs machte, konnte sich die Parteivorsitzende Ursula Haubner schließlich damit brüsten, dass die anderen Parteien schließlich auf die Linie der FPÖ eingeschwenkt seien.

Bunzl betrachtet diese Entwicklung mit Sorge. Für die Figuren des rechten Flügels seien "Muslime Träger einer grundlegend anderen Kultur und daher in keiner Weise anpassungsfähig. Um seinen Charakter und seine Größe zu bewahren, muss Europa ihrer Ansicht nach eine Barriere errichten, sei es gegen die Mitgliedschaft der Türkei in der EU oder den weiteren Zustrom von Immigranten aus Nordafrika oder dem Nahen Osten. Die Unterstützung für diese islamophoben Positionen wächst, und wenn sie Oberhand gewinnen sollte, hätte dies enorme geopolitische Konsequenzen. Nicht nur würde es die vielversprechenden Reformen in der Türkei zum Stillstand bringen, es würde auch zu einer neuen Radikalisierung führen, sowohl in Europa wie in der islamischen Welt, wo mehr und mehr junge Muslime 'heilige Krieger' in einem endlosen Kampf der Zivilisationen werden würden. Eine weitere Zunahme des Antisemitismus wäre dann unser geringstes Problem."

2.) Brian Klug: "Die Sicht auf Israel als 'Jude der Welt'"

In seinem Beitrag beschäftigt sich Klug mit der von Alan Dershowitz und anderen aufgestellten These, Israel sei "der Jude unter den Staaten der Welt". Diese führte zu einer vielfältigen Literatur zum "Neuen Antisemitismus", die Klug allerdings als eine "Verkürzung der Polemik" erachtecht: "eine Mischung aus Verallgemeinerungen, emotionaler Sprache, tendenziösen Beschreibungen und rhetorischen Fragen", die alle dem Zweck dienten, Kritik an Israels Politik als aktuelle Mutation des Judenhasses zu verumglimpfen. Klug kann sich diesem Diskurs nicht anschließen: Während für den Antisemitismus die Macht- und Wehrlosigkeit der einzelnen Juden essentiell sei, bestehe Israels Problem keineswegs in seiner Machtlosigkeit, sondern im genauen Gegenteil.

Dies veranschaulicht Klug an einer Szene, die Sara Roy in ihrem Essay "Living with the Holocaust" geschildert habe: "Es war ihr erster Besuch in den besetzten Gebieten. Das Bild ist lebendig und verstörend: Ein israelischer Soldat zwingt einen alten palästinensischen Mann, das Hinterteil seines Esels zu küssen, demütigt ihn vor seinem Enkelsohn und einer Gruppe weiterer Palästinenser, während andere israelische Soldaten zusehen und lachen." Klug zitiert auch Roys naheliegende Assoziation: "Ich dachte sofort an die Geschichten, die meine Eltern mir über die Behandlung von Juden durch die Nazis in den 1930er Jahren, bevor es Ghettos und Todeslager gab, erzählt hatten, darüber, wie Juden gezwungen wurden, Bürgersteige mit der Zahnbürste zu reinigen und wie ihre Bärte in aller Öffentlichkeit abgeschnitten wurden."

Offenbar werden hier erlittene und allgemein internalisierte traumatisierende Gewalterfahrungen an die nächste Generation weitergegeben und diese getreu etwa Henryk Broders Motto ausagiert, es mache mehr Spaß, Täter als Opfer zu sein. Der psychologische Mechanismus, der sich hier abspielt, könnte auch erklären, dass manche rechtsradikale Juden heute in ähnlicher Weise gegen Muslime hetzen wie früher die Antisemiten gegen die Juden. Klug zitiert hierzu den KZ-Überlebenden und israelischen Schriftsteller Primo Levi: "Jeder ist irgendjemandes Jude – und heute sind die Palästinenser die Juden der Israelis."

3.) Paul Silverstein: "Der Zusammenhang von Antisemitismus und Islamophobie in Frankreich"

In Deutschland besteht weitgehend ein sehr vages Bild von gewalttätigen, randalierenden muslimischen Jugendlichen, die in unserem Nachbarland Frankreich judenfeindliche Parolen brüllen. Da man als deutscher Mediennutzer kein anderes Deutungsmuster zur Verfügung gestellt bekommt, greift man schnell nach dem scheinbar einzigen, das sich anbietet: Der Islam bringt die Menschen zur Raserei. Und gerne greift mancher zu obskuren Theorien, denen zufolge wegen der auch bei uns hohen Zahl an muslimischer Einwanderer sicher auch in Deutschland bald ein Bürgerkrieg drohe.

Silverstein hingegen analysiert die Hintergründe der muslimischen Jugendgewalt in Frankreich. Dazu verweist er zunächst auf die "mörderischen Sommer" ("étés meurtriers"), die in den Jahren zwischen 1973 und 1983 unter nordafrikanischen Einwanderern und ihren Familien nahezu 50 Menschenleben kosteten. Es handelte sich dabei um organisierte Übergriffe insbesondere auf algerische Einwanderer – Übergriffe, die man als "ratonnade" ("Rattenjagd") bezeichnete: "In sportlich anmutender Manier (vielleicht am ehesten ähnlich der aristokratischen Tradition der Fuchsjagd zu sehen) geht hierbei eine Gruppe weißer 'beaufs' (…) auf die die "Ratte" (raton) los, schlägt denjenigen zusammen, vernichtet seine Personal- oder Arbeitspapiere (was ihn in Frankreich zu einem illegalen Einwanderer macht) und überlässt ihn seinem Schicksal." In den frühen 1980er Jahren stellten nicht mehr erwachsene Gastarbeiter sondern Einwandererkinder die Hauptbeute der Jäger dar: "Anstatt von einer Meute gehetzt zu werden, wurden diese Kinder, wenn sie auf den Spielplätzen in den Sozialbausiedlungen spielten, nach Heckenschützenmanier beschossen; zumeist waren es Anwohner (überwiegend ältere weiße Männer), die aus dem Fenster heraus auf Kinder 22-er Gewehre anlegten, wie man sie normalerweise zur Jagd benutzen würde."

Die meisten Einwanderer versuchten sich zunächst mit gewaltfreien Mitteln politischer Proteste gegen diese Verbrechen zu wehren. So fanden sich 1983 bei einem "Marsch der Gleichheit und gegen Rassismus" von Marseille bis Paris mehr als 100.000 Demonstranten zusammen. Einige empfanden solche Aktionen allerdings als ineffektiv. Wenn ein rassistischer Angreifer für seine Tat nicht bestraft wurde, weil ihn die Polizei schützte oder der Täter selbst ein Polizist war, richtete sich die Wut der Jugendlichen auf die Polizei als ganzes. Anfang der neunziger Jahre entwickelten sich die Zusammenstöße allmählich zu Unruhen, nachdem es einige besonders tragische Todesfälle gegeben hatte. (Beispielsweise wurde der 18jährige Djamel Chettouh von einem Sicherheitsmann erschossen und der ebenfalls 18jährige Aissa Ihich erstickte im Polizeigewahrsam, weil die Beamten ihm seine Asthma-Medkamente verweigerten.) 1999 reagierte der damalige Premierminister Lionel Jospin auf die gewachsenen Unruhen, indem er 13.000 Bereitschaftspolizisten und 17.000 Militärpolizisten für Patrouillengänge in den "sensiblen Ballungsräumen" zusammenzog. 2003 erhöhte Sarkozy im Rahmen seiner "Recht-und-Ordnung"-Politik die Truppenstärke der Sicherheitskräfte nochmals und versah diese Krifte mit zusätzlichen Befugnissen für Haus- und Fahrzeugkontrollen, womit er letztlich die Militarisierung der Vorstädte abschloss. Versammlungen in den Garagen oder Eingangsbereichen der Sozialbausiedlungen wurden von da an kriminalisiert.

Infolge der so entstandenen Eskalationsspirale wurde der "Konflikt der Kulturen" zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Silverstein erklärt nun den psychologischen Prozess, der sich in den Köpfen vieler muslimischer Einwanderer abspielte: "Wenn französische Maghrebiner als Muslime die Ereignisse des 11. September wahrnehmen, die amerikanische Besetzung von Afghanistan oder des Irak oder auch die Zweite Intifada, sehen sie zunehmend auch ein Abbild des Kampfes, den sie in ihrem täglichen Leben führen. Trotz der offensichtlichen diplomatischen und politischen Unterschiede zwischen Frankreich und den USA ziehen junge französische Muslime implizit eine Parallele zwischen den amerikanischen Streitkräften, den israelischen IDF und der französischen Bereitschaftspolizei." Die Folge davon sei der heute beklagte "neue Antisemitismus", wobei Silverstein darauf hinweist, dass dieser nur in einem Drittel der aufgeklärten Fälle von muslimischen Jugendlichen ausging. Und während es zutreffend sei, dass im Jahr 2004 ein beträchtlicher Anstieg (um die 50%) bei den antisemitisch motivierten Vorfällen zu verzeichnen war, stiegen im gleichen Zeitraum andere Formen von Rassismus und Fremdenhass um 150% an, wobei die meisten Vorfälle gegen die muslimische Bevölkerung gerichtet waren.

4.) John Bunzl: "Spiegelbilder – Wahrnehmung und Interesse im Israel-Palästina-Konflikt"

John Bunzl, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Nahost-Experte des Österreichischen Institus für Internationale Politik, beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem Phänomen, dass eine wachsende Sympathie mit Israels Widersachern im Nahost-Konflikt vom israelischen Establishment, jüdischen Gemeinden und amerikanisch-jüdischen Organisationen als "neue Welle von Antisemitismus" gebrandmarkt wird. Bunzl erklärt sich den Eifer, diese Deutung durchzusetzen, zum einen mit einer aktuellen Konkurrenz verschiedener Minderheiten um den legitimeren Opferstatus, zum anderen mit dem Versuch, nach dem 11. September 2001 Israel und die Juden als Partner im Kampf gegen den islamischen Terrorismus zu präsentieren. Bunzl beobachtet derzeit von Seiten des offiziellen Israel die Tendenz, alle Formen von Kritik, Ablehnung und Widerstand auf "Antisemitismus" zurückzuführen, wobei selbst Angriffe von Palästinensern so gedeutet werden, als erfolgten diese Angriffe nur weil die Isrealis Juden seien. Bunzl kommentiert: "Die Übertragung von bzw. Identifkation mit traditioneller Judeophobie auf die heutigen Formen von Kritik an und Widerstand gegen Israel rationalisiert eine Unwillig- bzw. Unfähgkeit, sich mit diesen Gründen auseinanderzusetzen. Was kann man gegen 'Antisemitismus' schon tun?"

Bunzl sieht in der Staatsgründung Israels durch westliche Einwanderer bei gleichzeitiger Verdrängung der ursprünglichen Bewohner einen kolonialen Prozess. Dieser "bedarf sowohl einer physischen als auch einer ideologischen Dimenson; denn derjenige, der den demographischen und machtpolitischen Status quo zu seinen Gunsten verändert, braucht auch eine Rechtfertigung dafür. Daher finden wir seit den Anfängen der zionistischen Bewegung eine Interpretation des arabischen Widerstands als grundlose Gewalt – oft kulturalistisch essentialisiert -, während das eigene Vorgehen als Gegengewalt verstanden oder dargestellt wird." Man braucht sich heute nur typische einseitig pro-israelische Blogs anzuschauen, von "Politically Incorrect" über den "Spirit of Entebbe" bis zu Gideon Böss "Fuchsbau", um diese Rhetorik wiederzufinden. Viele der dortigen Veröffentlichungen erinnern an Legitimisierungsversuche der Kolonialisierung im vorvergangenen Jahrhundert.

Eine ähnliche Perspektive verortet Bunzl im Lager der antideutschen Linken (man denke hier an Blogs wie "Lizas Welt" und Zeitschriften wie "jungle world" und "konkret"), wobei er auf eine umfassende Studie von Robert Kurz über deren Ideologie verweist: "Kurz kommt zu dem Schluss, dass die antideutsche Über-Identifikation mit Israel nichts über Israel, jedoch viel über die Anti-Deutschen aussagt. Letzteren geht es nicht um den Nahostkonflikt als solchem, auch nicht um Israel, das nicht in seiner historischen Realität wahrgenommen wird, sondern als Gegenpol zum Deutschtum fungiert. Er nennt es eine falsche, neurotische Identifikation, die man mit (eingebildeter) Verliebtheit und/oder Idealisierung vergleichen könnte. Eine ähnliche Geisteshaltung liegt bei vielen Deutschen und Österreichern vor, die in den letzten Jahrzehnten zum Judentum übergetreten sind, weil sie die individuelle und kollektive Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit überfordert hat. Dafür 'dürfen' nun Palästinenser, Araber, Muslime und Linke als Träger des angeblich überwundenen Eigenen phantasiert und – mit dem Eifer des Neubekehrten – gehasst werden. (…) Wenn Israel das jüdische Trauma repräsentiert, müssen die Palästinenser den deutschen Wahn verkörpern. Die Kolonisierung, Entwurzelung, Enteignung und Unterdrückung der Palästinenser kommen im antideutschen Diskurs sicherheitshalber erst gar nicht vor. Hier liegt wohl der schwerwiegendste Konstruktionsfehler im Gedankengebäude der Antideutschen. Theoretisch abgesichert wird dieser Fehler in Schriften von Autoren, die in diesem Kontext, aber auch im Zeichen des 'Clash of Civilizations' letztlich eine Dämonisierung des Islam betreiben." Als Beispiel wird hier Mathias Küntzel genannt.

Bunzl verweigert sich allerdings einer einseitigen Betrachtungsweise und merkt an, dass auch die islamistische Ideologie Feindbilder vergangener Konflikte übernahm, um die eigene Position zu überhöhen. So schöpften etwa islamistische Antizionisten auch aus dem Repertoire des europäisch-christlichen Antisemitismus. Bunzl zufolge erkennen Vertreter beider Seiten (Isreal/Juden und Araber/Muslime) die Leidensgeschichte des jeweiligen Gegenübers nicht an, sondern bestehen trotzig auf der eigenen Opferolle. Wo Israel sich mit einer Aufarbeitung der "Nakba", der Vertreibung der Palästinenser, entziehe, denunzierten viele Muslime die weltweite Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Massenverbrechen als "zionistische Verschwörung". Ideologen beider Seiten machten mit einer narzisstischen Instrumentalisierung und Monopolisierung des eigenen Leids die Anerkennung anderer, gar selbstverschuldeter Leiden unmöglich. Wie aber könne man die Anerkennung eigener Traumata verlangen, während man sich weigere, die Traumata des anderen zu berücksüchtigen? Zu verlangen, dass der Holocaust als Tatsache anerkannt wird, bedeute keineswegs zu entschuldigen, was der Zionismus den Palästinensern angetan hat.

In seinem Fazit kann sich Bunzl der These, die gegenwärtig verstärkte Israelkritik stelle einen "neuen" bzw. "islamischen" Antisemitismus dar, nicht anschließen. Dabei argumentiert er wie folgt: "Hätten die Zionisten beschlossen, etwa Argentinien zu kolonisieren, wäre es dann auch zum Ausbruch des 'islamischen Antisemitismus' gekommen? Wäre, sagen wir, Palästina von römisch-katholischen Franzosen kolonisiert worden, hätte der Widerstand dagegen nicht auch anti-christliche Formen angenommen und z. B. aus Erinnerungen an die Kreuzzüge geschöpft? (…) Und zuletzt: Wenn die Vorkämpfer gegen den 'neuen' und 'islamischen' Antisemitismus Recht hätten, was folgt daraus? Ein Krieg gegen den 'Antisemitismus' im Stil des 'Kriegs gegen den Terror'?" Sinnvoller sei eine Auseinandersetzung mit den Ursachen des gegenseitigen Hasses, wobei allerdings ein Grund für die gegenwärtige Aufregung um den "neuen Antisemitismus" darin bestehe, diese Auseinandersetzung zu vermeiden.

5.) Michael Rothberg: "Der Holocaust, Kolonialfantasien und der Israel-Palästina-Konflikt"

Den inhaltlichen Höhepunkt des Buches stellt Michael Rothbergs Kapitel über "multi-direktionale Erinnerung" dar. Hinter diesem sperrigen Begriff verbergen sich miteinander verquickte Formen von Erinnerung an unterschiedliche historische Ereignisse. Man muss ein wenig ausholen, um verständlich zu machen, was damit gemeint ist.

Im Juni 2003, schildert Rothberg, reisten die beiden britischen Parlamentsmitglieder Oona King (eine Jüdin) und Jenny Tonge mit der Organisation Christliche Hilfe nach Israel und in die besetzten Palästinensergebiete. Über das, was sie dort sahen, schrieben sie einen Bericht, der später im britischen "Guardian" veröffentlicht wurde. Darin hieß es: "Die Gründer des Staates Israel können sich die Ironie in Bezug auf das heutige Israel nicht vorstellen: Mit ihrer Flucht aus dem Feuer des Holocaust haben sie ein anderes Volk in eine Hölle gesperrt, die in ihrer Art – wenn auch nicht in ihrem Ausmaß – an das Warschauer Ghetto erinnert."

Selbstverständlich wurde dieser Vergleich sowohl in Israel als auch in England heftig zurückgewiesen. Dem unbenommen, führt Rothberg aus, haben Bezüge auf das Warschauer Ghetto eine lange Tradition im Nahostkonflikt: Sei es, dass der Kibbuzleiter Yitzhak Tabenkin den Sechstagekrieg von 1967 als "Fortführung der Ghettoaufstände" bezeichnete, sei es, dass ein israelischer General mit Blick auf die Eroberung palästinensischer Gebiete befindet, die israelische Armee habe "wie die deutsche Armee im Warschauer Ghetto gekämpft". Erinnerung an historische Schrecken wird also aus ganz unterschiedlichen Positionen heraus auf die Gegenwart übertragen. Ob speziell diese Art der Übertragung statthaft ist, ist bekanntlich hochumstritten. Die einen sehen darin eine Relativierung des Holocaust, andere argumentieren, dass die Fixierung auf den Völkermord der Nazis von anderen historischen Tragödien ablenke, wenn sie nicht gar einen Schutzschild darstelle, hinter dem manche Regierungen ihre eigene Vergangenheit – und Gegenwart – zu verstecken suchen.

Rothberg berichtet, dass der Holocaust besonders während der Amtszeit Menahem Begins ein Eckpfeiler des israelischen Selbstverständnisses und der Politik des Landes gewesen sei. So habe Begin Yassir Arafat häufig mit Hitler und die Charta der PLO mit "Mein Kampf" verglichen. ("Hitler" scheint grundsätzlich der aktuelle Opponent der israelischen Regierung zu sein: vorgestern Arafat, gestern Saddam Hussein, heute Ahmadinedschad.) Begins aggressive Instrumentalisierung des Holocaust habe schließlich zu dem berühmten Ausspruch von Amos Oz geführt: "Hitler ist schon tot, Herr Premierminister."

Daraufhin verteidigte Herzl Rosenblum, Herausgeber der Zeitung "Yediot Ahranot", Begin mit folgendem mehr als bemerkenswerten Text: "Arafat, hätte er nur genug Macht, würde uns Dinge antun, die selbst Hitler sich nicht hätte vorstellen können … Tötete Hitler uns mit einer gewissen Zurückhaltung – käme Arafat jemals an die Macht, er würde in solchen Dingen nicht nur spielen. Er würde die Köpfe unserer Kinder mit einem Kampfschrei abschneiden, unsere Frauen öffentlich vergewaltigen und sie anschließend in Stücke reißen, er würde uns von den Dächern auf die Straße werfen und uns wie hungrige Tiger im Dschungel häuten, wo immer er uns fände, und das alles ohne deutsche 'Befehle' und ohne Eichmanns organisierte Transporte."

Hölle, was macht man mit so einem Text – einem Text, in dem der Auseinandersetzung mit Arafat zuliebe davon schwadroniert wird, dass Hitler Millionen von Juden "mit einer gewissen Zurückhaltung" umgebracht und "in solchen Dingen nur gespielt" habe? Rothberg verwendet diese Phantasmagorie dazu, die Kernthese seines Beitrags auszuführen, nämlich, "dass die Existenz apokalyptischer Kolonialfantasien neben der Holocausterinnerung eine enge und beunruhigende Verbindung zwischen europäischen und israelischen Subjekten und Landschaften beweist."

Rothberg führt seine Gedanken folgendermaßen aus: "Rosenblums Text mobilisiert neben Holocausterinnerungen und politischer Aktualität auch koloniale Fantasien von Enthauptungen, wutschreienden Wilden und von Tigern bevölkerten Dschungeln, die Regionen entnommen sind, die man weit entfernt von den tatsächlichen Problemen mittelöstlicher Politik einordnen würde. Auf einer Ebene kann der Holocaust hier insofern als eine Decke oder ein Schutzschild angesehen werden, als Rosenblum versucht, israelische Gewalt durch den Vergleich mit der tatsächlichen Gewalt des Nazigenozids und der vermuteten zukünftigen Gewalt Arafats zu verdrängen. Viel interessanter und letzten Endes verstörender ist jedoch die Art und Weise, wie der Holocaust quasi als Leinwand für die multi-direktionale Projektion unterschiedlicher Ängste und Sehnsüchte dient, die im orientalistischen Unbewussten durch europäische koloniale Diskurse geweckt wurden und die an Kipling und Conrad erinnern."

Um zu belegen, dass Rosenblums Ausführungen keinesfalls veraltet oder lediglich ein einmaliger Extremfall gewesen seien, verweist Rothberg auf den israelischen Historiker Benny Morris. Artikel von Benny Morris werden sehr gerne, so auch gestern, von der "Welt" und der "Achse des Guten" veröffentlicht. Bemerkenswert dabei ist, dass Morris sowohl "Verteidgungen israelischer Politik und Schmähreden gegen die Palästinenser" publiziere als auch "neue Informationen zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" liefere, "die 1948 von der Haganah (zionistische, paramilitärische Organisation) verübt worden" seien.

Diesen scheinbaren Widerspruch hatte Morris in einem, so Rothberg, "berüchtigten Interview" mit der israelischen Zeitung "Ha'aretz" angesprochen, in dem er "Dutzende bis dato unbekannte Massaker, Vergewaltigungen und Vertreibungen, die sich 1948 in palästinensischen Städten ereigneten" mit folgenden Worten rechtfertigte: "Ohne eine Vertreibung der Palästinenser hätte ein jüdischer Staat hier nicht entstehen können … Es gibt Situationen in der Geschichte, die eine ethnische Säuberung rechtfertigen. Mir ist bewusst, dass dieser Terminus im Diskurs des 21. Jahrhunderts eindeutig negativ konnotiert ist, aber wenn man zwischen ethnischer Säuberung und Genozid – der Vernichtung deines Volkes – wählen muss, ziehe ich die ethnische Säuberung vor." Der erkennbar geschockte "Ha'aretz"-Journalist gab Morris mehrfach die Gelegenheit, sich klar von ethnischen Säuberungen zu distanzieren. Morris verweigerte dies und ergänzte, es habe keine andere Wahl gegeben: "Selbst die große amerikanische Demokratie hätte nicht ohne Vernichtung der Indianer entstehen können. Es gibt Fälle, in denen das große, gute Ganze die harten und grausamen Taten rechtfertigt, die im Laufe der Geschichte begangen werden." Woraufhin Morris zur aktuellen Politik zurückgekehrt sei und vorgeschlagen habe, für die Palästinenser solle ein Käfig gebaut werden, denn "es gibt dort ein wildes Tier, das eingesperrt werden muss."

(Es sagt wohl alles über die Ideologie der Neokonservativen aus, dass ein Propagandist ethnischer Säuberungen auf den Seiten der "Welt" und der "Achse" ein gern gesehener Gast ist, während man eine Menschenrechtlerin wie Felicia Langer massiv zu skandalisieren versucht. Andererseits gibt es von Henryk Broder, Michael Miersch, Josef Joffe und Co. gleichermaßen unfassbare Äußerungen, zu denen ich mich in diesem Blog bereits geäußert habe; ich erzähle damit also wohl nichts wirklich Neues.)

Wie Rothberg darlegt, sind Äußerungen wie die von Rosenblum und Morris Teil eines umfassenderen Diskurses. Dabei bezieht sich Rothberg auf einen kürzlich in der Zeitschrift "Israel Studies" erschienenen Artikel Arye Naors, einem Dozenten an der Ben-Gurion-Universität und früherem Kabinettsmitglied unter Begin: Naor weise darin nach, dass Befürworter eines "Großisrael" seit 1967 regelmäßig Visionen eines "zweiten Holocaust" heraufbeschworen haben. Dies diene als Teil einer Strategie, alle territorialen Zugeständnisse im Konflikt mit den Palästinensern zu unterbinden. Prominente Persönlichkeiten dieser Bewegung "zögern nicht zu argumentieren, dass territoriale Zugeständnisse den Weg zu einem zweiten Holocaust ebnen, der so fürchterlich sein wird, dass er sogar den Holocaust der Nazis verblassen lässt."

Unweigerlich erinnert man sich hier an Henryk Broders im vergangenen Jahr unternommenen Versuch, als "zweite Holocaustleugnung" die Leugnung jenes Holocaustes durchzusetzen, die Israel durch den Iran drohe. Wer sich ihr anschlösse, das seien die wesentlich gefährlicheren "Antisemiten des 21. Jahrhunderts". An die Stelle der Palästinenser ist also aktuell der Iran getreten; die Rhetorik bleibt dieselbe.

Und tatsächlich hat Broder diesen Gedanken offenbar von Morris übernommen. Der bemerkte nämlich bereits 2007 in einem von Gutachsler Hannes Stein für die "Welt" übersetzten Artikel, dass die Nazis zwar den Massenmord industrialisiert hätten. "Trotzdem standen sie ihren Opfern Auge in Auge gegenüber." Der zweite Holocaust werde aber vollkommen anders sein. In dem hier nachlesbaren Artikel fehlt zwar, wie Rothberg zutreffend feststellt zwar der Diskurs des Kolonialismus, der in Morris' früheren Äußerungen prominent war. "Der Text ist jedoch voller apokalyptischer Fantasien und labt sich an graphischen Beschreibungen von Gewalt" – und zwar bis ins Absurde hinein: etwa wenn er im letzten längeren Absatz des Artikels ausführlich eine extreme Gewaltszene schildert, die er gleich davor und danach wieder zurücknimmt ("es wird keine solch herzzerreißenden Szenen geben"). Rothberg sieht Morris Diskurs hier "an der Schnittstelle verschiedener Erinnerungen an Genozid und Massaker – Erinnerungen, die sich der bewussten Kontrolle entziehen". Der einzige Ausweg vor solch übermächtigen Erinnerungsfetzen scheint zu sein, als erster mit dem Massakrieren zu beginnen, so wie bei den ethnischen Säuberungen der Palästinenser. Es macht eben mehr Spaß, Täter als Opfer zu sein.

Das Subjekt dieser Diskurse jedenfalls, und darauf kommt es Rothberg an, ist "multi-dimensional; es ist gleichzeitig der Nazi, das Holocaustopfer, der europäische Kolonialist und der gefürchtete/gehasste Palästinenser." Mehr noch: "Statt das Verbrechen des Genozids als Teil einer langen Geschichte von Eroberung und Gewalt gegen andere Nationen, Ethnien und Rassen zu verstehen, werden die Vertreter des Kolonialismus mit den Opfern des Holocaust verglichen und als potenzielle Opfer eines 'zweiten Holocaust' dargestellt." Mit anderen Worten ist die hier vermittelte Botschaft die folgende: "Wir müssen die Barbaren, die wir kolonisieren, einpferchen, sonst bereiten sie uns eine Apokalpyse der Gewalt, gegen die der Holocaust als nur singuläres statt multidimensionales Ereignis ein Zuckerschlecken war." Der von Europäern begangene Völkermord und die europäische Schuld daran werden verlagert auf die Opfer des europäischen Kolonialismus. Das erkläre, warum in diesem Diskurs "unsere Kinder" und "unsere Frauen" eingebildeten "Eingeborenen" zum Opfer fallen, die schrecklicher seien als die "ordentlichen" Deutschen.

Fazit:

Es ist klar, dass ein analytisches Buch wie das hier vorgestellte nur einen Bruchteil der Auflage jener Boulevardtitel zwischen "Kritik der reinen Toleranz" und "Vorsicht, Bürgerkrieg" erreicht, in denen in einer wilden Abfolge ein Schrecken den nächsten jagt und worin schließlich als Quelle all dieser Bedrohungs- und Angstphantasien ein vollkommen irrationaler Islam wahrgenommen wird. Irrational sind allerdings die Phantasien selbst. Der Islam, die Araber, die Palästinenser etc. gelten nur als jeweils willkommene Projektionsfläche. Die Anthologie "Zwischen Antisemitismus und Islamophobie" liefert den Schlüssel, die Psycho-Analyse für diesen Wahn, der Teile unserer Gesellschaft derzeit gepackt hat. Es geht um unverarbeitete und vielleicht gar unverarbeitbare Traumata, die sich hier ihre Bahn brechen – sowohl von den Nachfahren der Täter als auch von den Nachfahren der Opfer. In den so entstandenen Traumwelten phantasiert sich der Antideutsche zum verfolgten Juden, die Rechtsradikalen von "Politically Incorrect" zu Untergrundkämpfern gegen den Faschismus und Israelis, die einer ethnischen Säuberung der Palästinenser oder einem "vorbeugenden" Angriff auf den Iran das Wort reden, zu Opfern eines "zweiten Holocaust". Der Islam schließlich wird in diesen Fieberträumen, die in zahllose Presseartikel münden, als der neue massenmörderische Nationalsozialismus wahrgenommen. Nur schlimmer.

Diese Buchvorstellung ist zur Verwendung in anderen Blogs, auf anderen Websites etc. freigegeben.

Kampagne gegen Felicia Langer als antisemitische Hetzjagd geoutet

Auf Indymedia findet man derzeit einen fulminanten Artikel Élise Hendricks zur derzeitigen Hass-Kampagne gegen Felicia Langer.

Schon die Einleitung ist bemerkenswert:

Es sind in der BRD neulich gleich zwei der wichtigsten jüdischen Verfechter des Gedankens eines gerechten Friedens in Israel und Palästina mit höchsten Ehren ausgezeichnet worden. Die israelische Rechtsanwältin Felicia Langer ist vergangene Woche mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet worden. Auch Dr. Rolf Verleger ist vom Zentralrat der Juden in Deutschland die höchste Auszeichnung verliehen worden, die diese Organisation in ihrer derzeitigen Gestalt überhaupt noch verleihen kann: der Rauswurf.


Zur Reaktion Israels heißt es:

Israel hat also die Auszeichnung einer führenden israelischen Dissidentin kritisiert. Was soll daran berichtenswert sein? War die iranische Regierung etwa entzückt, als einer führenden iranischen Bürgerrechtsanwältin der Friedensnobelpreis verliehen wurde? Zeigte sich das Außenministerium der DDR erfreut über Preisverleihungen an einen Wolf Biermann? War das Suharto-Regime in Indonesien mit der Verleihung des Nobelpreises an einen Aktivisten für die Menschenrechte der Timoresen zufrieden? Wurde Ossietzky für seinen Nobelpreis von entsprechender Stelle in Berlin beglückwunscht? Allein die Vorstellung ist völlig lächerlich.


Den aktuellen Kampagnen-Journalismus gegen Langer kommentiert Hendrick so:

Nach bester Prawda-Tradition dürfen in Weinthals Artikel nur diejenigen zu Wort kommen, die Schlechtes über Frau Langer zu sagen haben. „Langer hat über Jahre immer wieder Kräfte unterstützt, die Gewalt, Tod und Extremismus befürworten“ donnert Yigal Palmor vom israelischen Außenministerium. Ralph Giordano, heißt es weiter, droht damit, das Verdienstkreuz aufzuwerten, indem er seines zurückgibt.

Darüber, womit Frau Langer diese Auszeichnung verdient hat, ist kein Wort zu lesen. Kein Wort über ihre Vertretung der Opfer israelischer Willkürmaßnahmen in den besetzten Gebieten vor den israelischen Militärgerichten. Kein Wort darüber, daß selbst Alan Dershowitz, der immer gern dabei ist, wenn es darum geht, Israels jüdische Kritiker zu verunglimpfen, ihr Verhalten vor Gericht als seriös und korrekt bezeichnet hat. Kein Wort von den Menschen, denen sie geholfen hat. Und selbstverständlich darf Frau Langer selbst mit keinem Wort ihre Ansichten darlegen oder verteidigen.


Und schließlich zu dem Mob, der sich in den Kommentaren dieses und anderer Artikel austobt:

Man erkennt am Inhalt dieser Beiträge ganz genau, worum es diesen selbsternannten Freunden des Judentums wirklich geht. Einer macht Langer einen Vorwurf daraus, daß ihr die Flucht vor den Nazis in die SU gelungen ist: „Sie hat den Krieg nicht im KZ, sondern im ZK verbracht“. Man merkt schon, was diesem Zeitgenossen lieber wäre (und wo sollte sie denn sonst hin? Mitten im Krieg nach London über Tilsit und Lübeck etwa?). An den sich immer weiter steigernden Diffamierungen erkennt man, welche Freude es diesen „Philosemiten“ bereitet, endlich mal eine Jüdin vor sich zu haben, die sie auf salonfähige Art hassen dürfen. Wer darauf hinweist, daß es in den besetzten Gebieten mit den Menschenrechten nicht unbedingt im grünen Bereich ist, wird nach alterwührdiger Streicher-Art als „Gutmensch“ abgekanzelt. Dem jüdisch-israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery, so ein anderer, gehe es nur ums Geld (wie schön ers wohl findet, endlich mal ehrlich seine Meinung über uns Juden zu sagen! Ja, es geht uns ums Geld, sicher! Deshalb verzichten wir auf allgemeine Anerkennung und fette Tantiemen, um Mißstände anzuprangern. Na klar ... warte mal, WAS??) Wenn das unsere Freunde sein sollen, hat es im Dritten Reich von Freunden des Judentums nur so gewimmelt! Der Nazi-Schreibart bedienen sich auch andere Berufsempörte, die Frau Langer als „Bundesverdienstjüdin“ bezeichnen. Im Stürmer war Albert Einstein immer nur der „Relativitätsjude“.


Aber machen wir uns nichts vor: Man muss diese Abrechnung eigentlich im Volltext lesen. Es ist eigentlich unfassbar, dass wir in unseren Zeitungen ständig stereotype Worthülsen präsentiert bekommen, während solche essayistischen Glanzlichter bei Indymedia landen.

Samstag, Juli 25, 2009

"Ordensverleihung an Langer bedroht Vormachtstellung der Neokonservativen"

Warum gibt es eigentlich momentan dieses Reisentrara um ein Bundesverdienstkreuz? Die Internet-Zeitschrift "Schattenblick" kommentiert.

Langer: Glücklich über Ehrung, bestürzt von all dem Hass

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der die Verleihung unterstützte, sagte gestern auf Anfrage, er hätte nie geglaubt, »dass es so viele hasserfüllte Leute gibt«. Felicia Langer habe sich »selbstlos und mit Herzblut für die Palästinenser eingesetzt und sich eine wunderbare Herzlichkeit bewahrt«. Die Verleihung würdige gerade ihr Engagement.

(…) Dass es Gruppen gebe, die ihre Kritik um jeden Preis unterdrücken wollten, bedauere sie, schließlich habe sie stets die Lage so geschildert, wie sie tatsächlich sei. Es sei eine Tatsache, »dass Israel die Gebiete im Westjordanland (und früher auch Gaza) kolonisiert habe«. Darüber gebe es übrigens auch keinen Dissens in Israel selber, die Friedensbewegung stehe auf demselben Standpunkt.

(…) Felicia Langer, die neben der israelischen seit zwei Monaten auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, beunruhigen die Attacken sehr. »Ich kann nicht sagen, dass mir das wenig ausmachen würde. Der Hass beunruhigt mich zweifellos. Auch die Verunglimpfung macht mich sehr sehr traurig.« Auf der anderen Seite hat sie in den zurückliegenden Tagen viel Zuspruch von ganz unterschiedlicher Seite erhalten.


Hier findet man den vollständigen Artikel, in dem Felicia Langer auch einige der Lügen richtigstellt, die über sie im Umlauf sind.

Siehe zur Richtigstellung solcher Unwahrheiten auch: Langer wirft Kritikern Kampagne gegen sie vor.

Freitag, Juli 24, 2009

"… ist für uns die Moslembrut"

Gudrun Harrer beschäftigt sich im Wiener Standard mit der neuen Fremdenfeindlichkeit in Europa. Ein Auszug:

Aber warum hat Stephan J. Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, so frühzeitig verstanden, worum es geht? Antisemitismus- und Islamophobieforscher ziehen seit langem Parallelen und sehen einstmals antisemitische Klischees heute auf Muslime angewendet - was von islamfeindlichen Kreisen, die den Islam mit einem "antifaschistischen" Anspruch als Ganzes verdammen (was etwas anderes ist, als gewisse Phänomene zu kritisieren), wütend zurückgewiesen wird. (…)

Selbstverständlich sind allzu einfache Vergleiche nicht hilfreich - im Gegensatz zum Antisemitismus ist Islamophobie explizit an die Religion gebunden. Ex-Muslimen wird ihr "Geburtsfehler" verziehen. Aber es bleibt die Unfähigkeit zur historischen Abstraktion. Es scheint, als ob die Lernleistung vieler Deutscher und Österreicher (und anderer) damit erschöpft ist, dass sie heute nicht mehr auf Juden losgehen dürfen.

Mehr scheint einfach nicht drin zu sein, mehr wurde nach 1945 nicht angelegt in den Köpfen. Während es sie vor Abscheu vor dem muslimischen Kopftuch schüttelt, sind sie zutiefst davon überzeugt, dass sie der osteuropäischen jüdischen Emigration vor hundert Jahren positiv gegenüber gestanden wären. Sie haben gelernt, dass nicht im Talmud steht, dass Juden Nichtjuden betrügen dürfen. Aber sie fabulieren heute über die religiöse Lizenz zum Lügen bei den Muslimen. Ohne auch nur irgendetwas zu bemerken.

Felicia Langer: Erich-Mühsam-Gesellschaft und ATTAC danken Horst Köhler

Wie die "junge welt" meldet, senden sowohl die "Erich-Mühsam-Gesellschaft" als auch ATTAC an Horst Köhler ihren herzlichen Dank für das Bundesverdienstkreuz für Felicia Langer.

"taz" zur Langer-Debatte: "Es gibt auch eine Feigheit vor dem Freund"

Israel hat seit 42 Jahren ein Besatzungsregime etabliert und wie jede Besatzung korrumpiert auch dieses die Besatzer. Israel forciert aggressiv den Siedlungsbau und verstößt im Westjordanland systematisch gegen Menschenrechte. Die israelische Armee hat, wie die Initiative "Breaking the silence" kürzlich zeigte, im Gazakrieg gezielt Zivilisten getötet. 1.400 Palästinenser und 13 Israelis starben. Wer all das nicht sieht, ist wahrscheinlich Anhänger des bundesdeutschen Philosemitismus, dem das präzise Benennen unerträglicher Missstände als Verrat gilt. Es gibt auch eine Feigheit vor dem Freund - die Antideutschen und Philosemiten haben diese Haltung unglückseligerweise zur einzig legitimen Moral im Nahostkonflikt veredelt.

Mag sein, dass Langers moralisches Tremolo vielen auf die Nerven fällt. Aber darum geht es nicht. Verhandelt wird in dieser Debatte, ob scharfe Kritik an der israelischen Politik hierzulande Anerkennung verdient oder ob sie als trüber Antisemitismus tabuisiert gehört. Dies meint Ralph Giordano, der Langer für eine "Feindin Israels" und einen pathologischen Fall hält. So kann man sich die Realität vom Hals halten. Denn hat man jemand als psychopathologisch abgestempelt, braucht man sich mit dessen Anliegen nicht zu befassen.


Die "tageszeitung" lässt Pro und Contra zu Wort kommen bei der Frage, ob Felicia Langer das Bundesverdienstkreuz zu Recht verliehen bekam. Ich habe hier einmal aus dem meiner eigenen Meinung am nächsten stehenden Pro-Plädoyer Stefan Reineckes zitiert; den vollständigen Artikel findet man hier.

Buchtipp: "Um Hoffnung kämpfen" von Felicia Langer

Viele beteiligen sich derzeit an der Debatte um Felicia Langer – aber sollte man ihre Texte dazu nicht erst einmal gelesen haben statt nur einzelne aus dem Kontext gerissene Zitate? Hier wird Langers neustes Buch vorgestellt.

Kampagnenjournalismus: Broders und Weinthals Methoden fliegen auf

"Hier lügt Broder" meldete gestern noch ein einsamer Blogger. Heute ist Broders kreativer Umgang mit der Wahrheit bereits Thema in der Presse. Das "Schwäbische Tagblatt" berichtet über die Reaktion des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer auf Broders gestrigen Spiegel-Online-Artikel:

„Das ist kein Recherche-, sondern Kampagnen-Journalismus“, sagte Palmer gestern auf TAGBLATT-Anfrage. Gemeint ist damit der Journalist Henryk M. Broder. Der hielt der jüdischen Menschenrechtsanwältin Felicia Langer aus Tübingen im „Spiegel online“-Artikel „Feigenblatt des schlechten Gewissens“ unter anderem vor, dass sie ein Vorwort zu einem Buch des ehemaligen Düsseldorfer Grünen-Landtagsabgeordneten Jamal Karsli geschrieben habe. Er sei „ein gerichtlich anerkannter Antisemit“, schreibt Broder.

Dann wird Palmer zu diesem Vorwurf zitiert: „An meiner Meinung ändert sich auch durch diesen Scheinbeleg nichts.“ Dieser Satz stammt aus einer Antwort-Mail von Palmer an Broder. Der Journalist hatte unter anderem fünf Fragen für einen Hintergrundbericht gestellt. Er wolle versuchen, schrieb Broder in Kleinbuchstaben und mit Tippfehlern an Palmer, den „fall lange zu entskandalisieren und als das darzustellen, was er vermutlich ist: eine vermeidbare panne in der kommunikation unter behörden“. Broder und der Journalist Benjamin Weinthal, Berlin-Korrespondent der „Jerusalem Post“, „versuchen, einen mit ihren Fragen aufs Glatteis zu führen“, sagt Palmer.


Palmer wirft Broder und Weinthal überdies eine mehr als nur nachlässige Recherche vor. So sei Palmer von Weinthal in der "Jerusalem Post" vorgeworfen worden, die "Völkermorddrohung" des Irans gegenüber Israel "herunterzuspielen" (was im Klartext wohl auch nur bedeutet: sich Weinthals Interpretation von Ahmadinedschads Worten nicht anzuschließen). Dabei habe Weinthal allerdings einiges durcheinander gebracht: Nicht Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, sondern Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon habe sich dazu bekannt, die Partnerschaft seiner Stadt mit der iranischen Provinzhauptstadt Isfahan trotz der markigen Worte Ahmadinedschads aufrechtzuerhalten.

Aber in einer Szene, in der man Islam und Islamismus ebenso willkürlich durcheinanderwirft wie Israelkritik und Antisemitismus, kann vermutlich auch ein deutscher Oberbürgermeister stellvertretend für den anderen stehen: Irgendwie ist das für Journalisten wie Broder und Weinthal offenbar alles Jacke wie Hose. Es geht ihnen allem Anschein nach wirklich nicht um Wahrheitsfindung, sondern allein um das Durchsetzen der eigenen politischen Position.

„Die Methoden sind schlimm“, kommentiert Palmer Veröffentlichungen wie diese. Und: Er hätte „vor einer Woche noch nicht geglaubt, dass es ein solches Netzwerk gibt“. Mit diesem Netzwerk meint er die Initiative „Honestly Concerned“ (etwa: „aufrichtig betroffen“). Sie entstand nach Angaben auf ihrer Homepage im Mai 2002.


Wer sich hinter dieser Website verberge, sei indes weder dem Impressum des Vereins noch der Seite "Wir über uns" zu entnehmen. (Gut das kennt man von ähnlichen Seiten wie "Lizas Welt": Solche Leute fühlen sich anscheinend nur als Heckenschützen wohl.) Auch eine Anzeige gegen die Verfasser von Hass-Mails mit wüsten Beschimpfungen, die immer noch im Tübinger Rathaus eingehen, habe keinen Sinn. Offenbar würden Mailadresse und Telefonkontakt Palmers über spezielle Mailinglisten verbreitet. (Ähnliches kennt man aus der islamophoben Szene, wobei die Überschneidungen zu den Anti-Palästinenser-Aktivisten bekanntlich groß sind.)

Das von dem hier skizzierten Netzwerk veranstaltete Spektakel wird dank solcher Berichte von Tag zu Tag mehr zum Debakel. Bis heute ist den Felicia-Langer-Hassern als einziges gelungen, ihre eigenen Methoden öffentlich auch für all jene bloßzustellen, die zuvor nicht einmal davon ahnten.

Hier findet man den vollständigen Artikel (solange das "Schwäbische Tagblatt" keine Mauer davor hochzieht).

Abraham Melzer: "Ich als Jude schäme mich"

Die "Neue Rheinische Zeitung" veröffentlicht einen offenen Brief des jüdischen Verlegers Abraham Melzer an Dr. Dieter Graumann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland.

"Auszeichnung für eine Unbequeme"

Ulrike Pfeil kommentiert im "Schwäbischen Tagblatt" die Debatte um Felicia Langer. Einige Auszüge:

Es war abzusehen, dass die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Felicia Langer Kritik auslösen würde. Denn die israelische Jüdin polnischer Herkunft ist eine Unbequeme und Unbeugsame. (…) Felicia Langer setzt sich mit Leidenschaft und Integrität für die Palästinenser ein, weil sie nur in einer radikalen Rücknahme der israelischen Siedlungspolitik und Gebietsansprüche einen Ansatz zum Frieden in der Region sieht – und zur Sicherheit für Israel. (…) Sie, die nun von ihren Gegnern zu einer wüsten Furie stilisiert wird, hat keinen Machtapparat im Rücken, sie hat in Israel selbst kaum noch Einfluss. Ihr Mann Mieciu, einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald und mehrerer anderer Lager, trägt als Zeitzeuge in Schulen dazu bei, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Ihr Sohn Michael hält mit seinem Ensemble „Jontef“ die durch den Nationalsozialismus verschüttete reiche jüdische Kultur lebendig. Sind das Beiträge, die den Antisemitismus fördern? (...) Nicht das Bundesverdienstkreuz für Felicia Langer schadet der Sache Israels, sondern die degutanten Schmähungen, die jetzt über sie und jene, die sie ehrten, ausgegossen werden.


Hier findet man den vollständigen Artikel (solange das "Schwäbische Tagblatt" keine Mauer davor hochzieht).

Donnerstag, Juli 23, 2009

Das setzt doch der Frechheit die Krone auf: Langer will Bundesverdienstkreuz behalten!

Obwohl sich nach Ralph Giordano jetzt sogar Michael Friedman gegen sie ausgesprochen hat, besteht Felicia Langer dreist und unbelehrbar auf ihrem Kreuz. Das "Handelsblatt" berichtet:

Im Deutschlandradio Kultur erklärte Langer am Donnerstag, dass jüdische Intellektuelle wie Ralph Giordano (86) die Verleihung scharf kritisiert hätten, habe sie sehr verletzt. „Dies ist eine Verleumdungskampagne“, sagte Langer. „Das tut weh. Denn ich glaube tief, dass ich auch etwas Gutes für das israelische Volk tue, nicht nur für die Palästinenser.“ Sie hoffe sehr, dass sie die Auszeichnung verdient habe, sie gebe ihr Kraft: „Ich werde den Preis nie zurückgeben.“


Was soll man dazu noch sagen?

"Vom Kreuz der Verdienste"

Das habt ihr jetzt davon: Jetzt kommentiert auch noch Moshe Zuckermann das Spektakel um Felicia Langer in der "jungen welt" - und auch er scheint darin eher eine Farce zu sehen als eine ernsthafte Debatte:

Das sei »ein Schock«, sagt der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann. »Deutschland hat damit jemanden ausgezeichnet, der professionell, chronisch und obsessiv die Dämonisierung Israels betreibt«. Langer trage »ihr Jüdischsein als Fahne vor sich her – doch ihre jahrelange Israel-Hetze macht das nicht besser«. Nun mag man sich fragen, wieso Graumann meint, daß die Mitglieder des Zentralrats der Juden in Deutschland ihr Jüdischsein weniger vor sich trügen als Langer, und ob er allen Ernstes meint, jemand in Deutschlands Öffentlichkeit würde auch nur einen Deut auf seine Anschauungen und auf die seiner Ratskollegen geben, wenn sie nicht ihr Jüdischsein vor sich trügen. (…)

Und dann der Schreck aller Schrecken: »Erste Träger des Kreuzes drohen bereits mit Rückgabe ihrer eigenen Auszeichnung«. Ralph Giordano und Arno Lustiger hätten dem deutschen Bundespräsidenten angedroht, ihre eigenen Bundesverdienstkreuze zurückzugeben, wenn das Staatsoberhaupt Felicia Langer den Orden nicht wieder entzieht. »In einer Ordensreihe mit Felicia Langer – das geht nicht«, sagt Giordano. Recht hat er, der Giordano: Langer in einer Ordenreihe mit ihm und seinesgleichen geht in der Tat nicht. Aber was will er? Will er allen Ernstes, daß der deutsche Bundespräsident eine Selektion zwischen den untereinander verfeindeten Juden vornimmt? Daß Deutsche staatsoffiziell entscheiden, wer der akzeptable Jude sei? Schon merkwürdig, was Juden im heutigen Deutschland so alles in den Sinn kommt.


Die Debatte um Felicia Langer ist tatsächlich ein unvorhersehbarer Umschlagpunkt. Man hat inzwischen den Eindruck: Während die üblichen Ideologen zuvor durch eine grimmige Miene, mit größtmöglichem Pathos vorgetragene Vorwürfe und entschiedenes Aufstampfen immer wieder für ein ängstliches Zusammenzucken sorgten, macht sich inzwischen die halbe Welt über sie lustig. Wie konnte das passieren, dass diese ganze Veranstaltung von der "Badischen Zeitung" über den "Freitag" bis zur "jungen welt" plötzlich als das Kasperletheater erkannt wird, das es ist? Warum steigt kein Journalist außer den eigenen Leuten auf das Langer-Bashing ein, ein ernstzunehmender Politiker schon gleich gar nicht? Und was ist aus dem beliebten Spiel "Wer als erster 'Antisemitismus' ruft, hat die Debatte gewonnen" geworden? Darauf haben einige Leute ihre gesamte publizistische Existenz gegründet!

Wenn das so weitergeht, müssen viele Eiferer und Dogmatiker, wenn sie überhaupt wieder ernstgenommen werden wollen, plötzlich wieder eine sachliche Diskussion über die Politik im Nahen Osten führen. Und zwar ohne die seit Jahren schon alberne Rhetorik, immer wieder zu erklären, dass Kritik an Israel selbstverständlich erlaubt sei, um dann, wenn diese Kritik tatsächlich geäußert wird, jedes Mal prompt "Antisemitismus!" zu krakeelen. Welcher Augenzeuge dieser Debatte soll das denn noch ernst nehmen?

Nein, Bundespräsident Köhler hat mit seiner Entscheidung schon etwas sehr richtig gemacht. Lasst uns den Antisemitismus bekämpfen, wenn Juden dafür angegangen werden, weil sie Juden sind. Aber lasst ihn uns nicht als Vorwand nehmen, um weiter eine offene Debatte über die Situation im Nahen Osten zu vermeiden.

"Niemand kam auf die Idee, Giordano Preise aberkennen zu wollen"

Claus-Dieter Stille kommentiert in der "Readers Edition" die Vermessenheit Giordanos, den Bundespräsidenten durch politischen Druck in die Knie zwingen zu wollen:

Ich habe damals, da sich der Mann mit dem Seidenschal kritisch zum Islam und den Muslimen äußerte, niemanden weit und breit wahrgenommen, der nun forderte, Giordano müsse man - meinetwegen auf Grund von islamophoben Äußerungen - bestimmte, staatlicherseits verliehene Orden aberkennen. Wer - in Kenntnis Giordanos Biographie und dessen auch für die Geschichte und die Demokratie unseres Landes so wichtigen Lebenswerkes - hätte vermocht, so etwas Vermessenes zu denken, oder gar: zu verlangen?


Hier findet man den vollständigen Beitrag.

Flick, Filbinger, Ceaucescu – Giordano?

Während die Felicia-Langer-Hasser noch immer höchstgradig erregt auf und ab springen, Charlotte Knobloch sich diesem Spektakel allerdings verweigert hat, hätte die Redaktion des "Freitag" ein paar Fragen, die sie in einem offenen Brief an Ralph Giordano richtet:

Sehr geehrter Herr Giordano,

Sie haben gegen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Felicia Langer protestiert. Sollte der israelischen Anwältin und Menschenrechtsaktivistin die Ehrung nicht aberkannt werden, drohen Sie, so ist in dieser Woche zu lesen, alle Ihre Auszeichnungen zurückzugeben. Sie sehen sich "angesichts des konkreten Falles" zu diesem Entschluss "gezwungen".

Wir fragen uns: Wieso haben sie ihre Verdienstorden überhaupt angenommen – zuletzt vor einem Monat das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik? Zu diesem Zeitpunkt, zu dem Frau Langer noch nicht zu den Trägerinnen gehört, muss Ihnen bekannt gewesen sein, dass höchst bedenkliche Personen einen der vielen Staatsorden erhalten haben.


Hier geht es weiter.

In der Tat: In einer Reihe mit ehemaligen SS-Leuten, dem Marinerichter Filbinger oder einem Diktator wie Ceaucescu zu stehen schien Giordano nie gestört zu haben. Aber wehe, er wird mit einer Person in Verbindung gebracht, die sich massiv für die Menschenrechte der Palästinenser einsetzt – dann ist aber Schluss mit lustig!

Mehr braucht man über dieses Affentheater nicht zu sagen.

Schmutzkampagne gegen Langer immer hasserfüllter

Die unter anderem von Henryk Broder, Ralph Giordano, Claudio Casula sowie den Blogs "Politically Incorrect" und "Lizas Welt" betriebene Schmutzkampagne gegen Felicia Langer nimmt immer üblere Züge an. Das "Schwäbische Tageblatt" berichtet darüber:

Auf eine höfliche Anrede verzichtet der anonyme Schreiber. Und kommt gleich zur Sache: „Du hast dieser dreckigen Langerschlampe das Bundesverdienstkreuz verliehen“, heißt es in der Mail, die vor kurzem bei Oberbürgermeister Boris Palmer einging. Und in dieser Tonlage geht es konsequent weiter. Elektronische Post ähnlichen Inhalts kommt in großer Zahl in Palmers Mailbox an, seitdem die Schriftsteller Ralph Giordano und Arno Lustiger angekündigt haben, sie würden wegen der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an die Tübinger Menschenrechtsanwältin Felicia Langer ihren eigenen Orden zurückgeben. Gut 50 Mails sind bisher zu dem Thema bei Palmer eingegangen. Der OB: „Da wird ein Kübel Schmutz ausgeleert.“


Hier geht es weiter. (Zwischenzeitlich war der Artikel nur noch für Abonnenten online zugänglich, das wurde jetzt wieder geändert.)

Mittwoch, Juli 22, 2009

Felicia-Langer-Debatte: Es geht um die Meinungsfreiheit!

Yassin Musharbash kommentiert die Debatte um Felicia Langer auf Spiegel-Online:

Was Giordano und Co. stört, ist nicht Langers Einfluss, der sehr gering ist, sondern Langers Meinung, die sie nicht teilen - und anscheinend für gefährlich halten, weil sie offenbar fürchten, dass sie die Anerkennung Israels unterminieren helfen könnte. Das Bundesverdienstkreuz ist aber keine Auszeichnung für die "richtige" Meinung. Geehrt werden sollte, wer das geistige Leben in diesem Land bereichert hat, neue Einsichten ermöglicht hat, sich auf die Seite der Schwachen gestellt, sich engagiert hat. Und das hat Langer - jedenfalls mehr als die meisten Fußballtrainer.

Felicia Langer hat zum Beispiel, als eine der ersten und eine der lautesten, die strukturelle Diskriminierung der arabischen Israelis und der Palästinenser in den besetzen Gebieten beschrieben. Es ist verständlich, dass einige das nicht hören mögen. (…) Aber auch Felicia Langer streitet für Frieden im Nahen Osten. Vielleicht einen anderen, als Giordano ihn sich wünscht. Doch sie strebt nicht die Vernichtung Israels an, sie ist keine Antisemitin, sie ruft nicht zu Gewalt auf. Sie sieht die Dinge bloß anders - vielleicht auch aus anderen persönlichen Erfahrungen heraus. Unter den Trägern des Bundesverdienstkreuzes sollte eine gewisse Pluralität jedoch möglich sein, so wie es auch in der deutschen Gesellschaft ist.


Und genau deshalb sollte man als Liberaler in dieser Debatte auf der Seite Horst Köhlers stehen – und nicht auf der Seite einer "stalinistischen Sekte" und ihres Umfelds.

Micha Brumlik: "Felicia Langer hat das Bundesverdienstkreuz verdient"

Frau Langer hat das Kreuz eventuell der Sache nach verdient. Es ist nicht zu bezweifeln, dass sie mit ihrer Lebensleistung auf einen in Israel bestehenden Misstand hingewiesen hat: nämlich die kontinuierliche Verletzung von Menschenrechten der unter israelischer Besatzung stehenden arabischen Bevölkerung des Westjordanlandes. Letztlich kann man bei unvoreingenommener Betrachtung zu keinem anderen Schluss kommen, als dass etwa die Jahresberichte von Amnesty International, Human Rights Watch oder israelischen Menschenrechtsorganisationen nichts anderes als sie feststellen.

(…) Der Bundespräsident hat so zum ersten Mal offiziell harsch, wenn auch indirekt die israelische Besatzungspolitik kritisiert - denn was Frau Langer bisher gesagt und gemeint hat, dürfte ja auch im Bundespräsidialamt bekannt gewesen sein. Das ist neu. Daher die große Aufregung.


Spiegel-Online berichtet über die sehr differenzierte Einschätzung Micha Brumliks.

"Die schrillste Fanfare"

Arno Widmann kommentiert die Debatte um Felicia Langer in der "Frankfurter Rundschau" so:

Wer Felicia Langer auszeichnet, weiß, was ihn erwartet. Die Reaktionen von Giordano und Lustiger kamen nicht überraschend. Es waren voraussehbare Reflexe. Man kann sich nicht vorstellen, dass der Bundespräsident, dass nicht wenigstens sein Amt mit eben diesen Reaktionen gerechnet hatte. (…)

Was spricht dafür, dass die Juden, die 1949 den jüdischen Staat gründeten, die Kindeskindeskinder derjenigen waren, die im Jahre 49 das Heilige Land verließen. Und selbst wenn? Gibt einem das das Recht, 1900 Jahre später zu sagen: Hier bin ich wieder. Das ist mein Land. Wer bisher hier gewohnt hat, hat zu gehen? Und selbst wenn - gibt einem das das Recht, dieses Land Jahr um Jahr zu erweitern? Immer neue Bewohner zu vertreiben?


Das sind doch schon mal zwei wesentliche Gedanken. Der erste: Bundespräsident Köhler wird sich bei einem Verdienstkreuz erster Klasse wohl etwas überlegt haben und sich nicht einfach so vertüdeln: "Hoppla, jetzt hab ich aus Versehen die Langer erwischt. Hoffentlich merkts keiner." Nein, Bundespräsident Köhler, der ja nicht gerade zu den Debilen gehört, wird auch die jetzt aufbrandenden Reaktionen erwartet haben.

Womit wir beim zweiten Gedanken sind: Nicht durch die Auszeichnugn Felicia Langers, sondern vor allem durch die lautstarken Proteste dagegen ist ein Tabubruch in die Wege geleitet worden: Mit höchstamtlichem Segen kann jetzt die israelische Siedlungspolitik auch mit großer Schärfe kritisiert werden. Bislang gab es diese Kritik beispielsweise von journalistischer Seite nur zurückhaltend, auch bei den deutlichen Worten, die Ruprecht Polenz vor einigen Tagen zu Israel äußerte, hat man unwillkürlich die Luft angehalten. Wer beispielsweise ab und zu amerikanische Zeitschriften liest, merkt bei diesem Thema schnell, dass Kritik an Israels Politik dort sehr viel unverblümter geäußert wird als hierzulande (und ich spreche von "Newsweek" und "Time", nicht von radikalen Postillen.) Man kann füglich darüber diskutieren, ob hart oder freundlich vorgebrachte Kritik hilfreicher ist, aber eines scheint mir festzustehen: Es hat in der Tat ein Tabubruch stattgefunden, wie er noch zu Zeiten der Möllemann-Debatte ohne Unterstellungen des Antisemitismus nicht möglich war, und die höchsten Ränge der deutschen Politik haben diesen Tabubruch gewollt. Das muss auch all jenen klar gewesen sein, die jetzt diesen Aufruhr veranstalten, denn genau das ist für diesen Aufruhr der Grund. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass der Tabubruch ohne diese pawlowschen Reflexe keine solche Wirkung erzielt hätte.

Wie schrieb jemand im Spiegel-Online-Forum? Gerade diese massive Wand der Aggression gegen Felicia Langer belege ja, dass sie eine couragierte Frau sei, die sich auch gegen stärksten Gegenwind und um den Preis der eigenen Verunglimpfung für die Menschenrechte einsetze. Eigentlich kann Felicia Langer den Herren Broder, Lustiger, Giordano, Graumann, Posener, Herre und Feuerherdt für dieses Aufsehen danken.

Dienstag, Juli 21, 2009

Endet Kampagne gegen Felicia Langer als Rohrkrepierer?

Schaut man sich beispielsweise an, wie im Spiegel-Online-Forum die Debatte verläuft (wobei dort vermutlich demnächst ganz Honestly Concerned aufschlagen wird), dann zeichnet sich dort eine klare, vernünftig argumentierende Mehrheit gegen die Lobby ab, die aktuell gegen Felicia Langer als Trägerin des Bundesverdienstkreuzes zu Felde zieht. Es ist leider sehr wahrscheinlich, dass durch diese hochaggressive Kampagne nur weiter Ressentiments geschürt, statt Gräben überwunden werden.

"Das reine deutsche Gewissen"

Doch rassistisch, antisemitisch oder ausländerfeindlich wird eine Äußerung oder Handlung weniger durch die individuelle Absicht eines Einzelnen; sie erhält diese Bedeutung erst vor einem allgemeineren Muster im Hintergrund. Dass die Islamophobie in Deutschland zugenommen hat, bedeutet zum Beispiel, dass sich in unserem öffentlichen Sprechen ein Muster etabliert hat, das bestimmte Bilder evoziert (verschleierte Frauen, Massenszenen von beim Beten hochgereckten Hintern), einige Fragen vernachlässigt ("Warum ist der Islam in Deutschland rechtlich den Kirchen nicht gleichgestellt?") und andere privilegiert ("Warum haben die immer noch kein Deutsch gelernt?"). Dieses Muster klassifiziert Angehörige einer Bevölkerungsgruppe über Stereotype und lässt die Einzelnen eher als ausführende Organe ihrer vermeintlichen "Kultur" erscheinen denn als individuelle Akteure mit eigenen Präferenzen und Entscheidungen.


Hilal Sezgin kommentiert in der "taz".

"Das Kreuz mit den Verdiensten"

Die gezielte Hysterie um das Bundesverdienstkreuz für die Menschenrechtlerin Felicia Langer beantwortet die Badische Zeitung mit einem überaus launigen Artikel, der so beginnt:

Für das Ordensreferat des Bundespräsidialamtes hat der Fall auch sein Gutes: Schonung des Budgets. Verleiht man bestimmten Persönlichkeiten ein Bundesverdienstkreuz, dann geben andere ihres unter Protest zurück. Mit etwas Geschick und Politur kann die Behörde so stets eine komfortable Ordensmenge vorrätig halten, ohne nachbestellen zu müssen.

Im Ernst: Ausgezeichnet wird mit dem Bundesverdienstkreuz fraglos auch ein gewisses Maß an Würde und Reife. Dazu gehört nach dem common sense, dass ein Ausgezeichneter aus Respekt vor dem Bundespräsidenten und seinen Orden es unterlässt, die Aberkennung des Verdienstkreuzes bei einem Anderen zu fordern. Auch wenn’s schwerfällt.

So viel Contenance ist der Publizist und Verdienstordensträger Ralph Giordano (86) aus Köln offenbar nicht bereit aufzubringen. Er verlangt schäumend vom Stuttgarter Staatsministerium, der Schriftstellerin Felicia Langer (78) aus Tübingen das in der Vorwoche im Namen des Bundespräsidenten verliehene Bundesverdienstkreuz wieder abzuerkennen. Und droht kaum verhohlen mit der Rückgabe des seinigen – woran den mediengewandten Seidenschalträger am Ende die eigene Eitelkeit hindern dürfte.


Hier geht es weiter.

Evelyn Hecht-Galinski fordert Zivilcourage: "Islamophobie in Mitte der Gesellschaft angekommen"

Die "Linke Zeitung" interviewt heute die Publizistin und Menschenrechtlerin Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Heinz Galinski. Ein Auszug:

Islamophobie wird nicht mehr verdrängt sondern offen gelebt. Bezeichnete sich Hendryk M. Broder anlässlich der Buchmesse in Frankfurt während eines HR-Interviews doch selbst als islamophob. Das schafft natürlich ein ungutes Klima, das bis in die „Mitte der Gesellschaft" geht. (…) Letztendlich ist aber durch Äußerungen, wie die von Broder, vom geistigen Brandstifter und Islamhetzer, Ralph Giordano und anderen, die Islamophobie in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der schreckliche Mord an der 32jährigen Muslimin ist nur der traurige Höhepunkt. In Deutschland müsste auch vielmehr auf die unsäglichen Äußerungen von rassistischen Islamophoben, wie dem gefährlich rassistischen Parteigründer Geerd Wijlders in den Niederlanden, aufmerksam gemacht und diese bekämpft werden. Auch hier vermisse ich den großen Aufschrei. Trifft uns nicht alle eine Mitschuld an dieser giftigen, aufgeheizten Atmosphäre, wenn wir dies tatenlos hinnehmen?

"Macht Gazas Grenzen auf"

Mitten in die Hetzkampagne gegen Felicia Langer platzt nun ein aufrüttelnder Kommentar von John Holmes, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator, in der "Financial Times Deutschland":

Geschätzte 75 Prozent der 1,5 Millionen Bewohner des Gazastreifens benötigen Hilfe. Israelische Behörden beschränken jedoch trotz gewisser Erleichterungen nach wie vor selbst die Einfuhr der am dringendsten benötigten Waren. Es werden nur Lebensmittel und einige wenige andere Produkte ins Land gelassen. Material für den Wiederaufbau sowie notwendige Ersatzteile dürfen nicht in den Gazastreifen eingeführt werden. Ein von Israel verhängtes Exportverbot, das nur einige Wagenladungen Blumen zulässt, hat die Situation verschlimmert. Dadurch wurde die Industrie in Gaza, die Arbeitsplätze schafft, weiter beschädigt.

Bereits im Februar 2008 habe ich das durch die israelische Blockade verursachte Leiden der Zivilbevölkerung mit eigenen Augen gesehen. Die gleiche Erfahrung machte ich erneut im Januar 2009 während eines Besuchs wenige Tage nach dem Ende des Militäreinsatzes. Israel scheint die Zerstörung Hunderttausender Leben und Existenzen als einen kollektiven Preis anzusehen, den die Zivilbevölkerung Gazas für das Handeln einzelner Menschen unter ihnen zahlen muss.


Müssen jetzt auch die Vereinten Nationen und die "Financial Times" damit rechnen, dass man ihnen Antisemitismus vorwirft? Oder wäre das dann doch zu albern? Ist nicht vielmehr umgekehrt eben jener kaltschnäuzige Umgang mit dem Leben Hunderttausender von Palästinensern eine Ausformung jenes Islam- und Araberhasses, der nicht nur Evelyn Hecht-Galinski zufolge in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist? Wer sich glaubwürdig und überzeugend gegen Rassismus aussprechen will, muss sich auch für eine Hilfeleistung an die Palästinenser einsetzen, die diesen das Überleben möglich macht. Das geht wunderbar, auch ohne dass man Terrorismus verharmlost oder Israel mit dem Dritten Reich vergleicht.

Deutsche Zustände

Man stelle sich einen Moment lang das Verbrechen "umgekehrt" vor: Ein Moslem beschimpft einen Deutschrussen als "Christenhund" und "Kreuzritter", bekennt sich in einem Gerichtssaal zu einer islamistischen Organisation und ersticht das Opfer anschließend. Kann es einen Zweifel an der Reaktion von Medien und Politik geben? Die Kanzlerin und jeder Minister wären umgehend vor jede greifbare Kamera geeilt, um nicht nur die Tat zu verurteilen, sondern auch den islamischen Fundamentalismus im Allgemeinen. Über Wochen würden zahllose "Experten" vor Radikalisierung, Integrationsverweigerung und Bildung von Parallelgesellschaften unter Muslimen warnen. Islamische Verbände würden aufgerufen, sich von solchen Verbrechen zu distanzieren, Moscheen sollten enger mit der deutschen Polizei kooperieren. Und Innenminister Schäuble würde vielleicht seine Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr im Innern wiederholen.


Hier findet man den vollständigen Artikel. (Ein lesenswerter Beitrag auf einer sozialistischen Website? Ich bin überrascht.)

Montag, Juli 20, 2009

Sabine Schiffer im "Zündfunk"-Interview

Die öffentliche Anteilnahme an dem Mord an der Ägypterin Marwa E. im Dresdener Landgericht war anfangs gering, die Bundesregierung hat nur sehr zögerlich reagiert. Die ersten Erklärungen zum Mord in Dresden kamen vom Erlanger Institut für Medienverantwortung, einer nichtmuslimischen Einrichtung, die von Sabine Schiffer geleitet wird. Sabine Schiffer, 42, hat zum Islambild in den Medien promoviert, nahm an der Islamkonferenz der Bundesregierung teil und hat zuletzt "Antisemitismus und Islamophobie - ein Vergleich" veröffentlicht. Sie sagt: Bislang wurden Hinweise auf Islamfeindlichkeit immer abgetan und als alarmistisch dargestellt.


Hier kann man sich das Interview als Podcast anhören. Eine absolute Empfehlung!

Widmann: Presse schürt Islamfeindlichkeit

Wenn wir über Islamfeindlichkeit sprechen, dann müssten wir vor allem über die Bildwelt sprechen, die uns in den letzten Jahren präsentiert wurde - und zwar durchaus auch in jenen Fällen, in denen die Artikel differenzierter sind als die Bilder. Wenn wir uns daran erinnern, dass der "SPIEGEL" vor einiger Zeit ein Titelbild brachte, auf dem die Schlagzeile "Die stille Islamisierung" stand und dann ein Halbmond über dem Brandenburger Tor zu sehen war, dann wird damit eine Dominanzfantasie, wonach der Islam die Weltherrschaft will, repräsentiert. Dies hängt dann in allen Städten an den Kiosken und bestätigt möglicherweise vage Befürchtungen, welche die Bevölkerung hegt. Dies wirkt sogar auf jene Menschen, die den "SPIEGEL" gar nicht lesen. Dieses Titelbild war durchaus typisch für eine ganze Reihe von Bildern und Fotomontagen, die wir in der Tages- und Wochenpresse sehen konnten.


Die Islamische Zeitung hat Dr. Peter Widmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung im Interview.

Mit Egomanie in den Abgrund

Jochen Hoff kommentiert heute morgen die aktuelle Debatte um Henryk Broder und Co. und gelangt dabei zu folgendem Urteil::

Broder hat sich im stumpfen Eigensinn eines alten Mannes mit Kräften eingelassen, die nicht nur islamophob, rassistisch und natürlich im Endeffekt auch antisemitisch sind, und merkt dabei gar nicht mehr, mit wem er kämpft. (…) Er ist viel zu vertieft in seine Zusammenarbeit mit den Antideutschen, den Islamophoben und Hasspredigern wie Geert Wilders, als dass er noch einen Schritt zurücktreten und nachdenken könnte. Momentan bekämpfen er und PI gerade Sabine Schiffer, die es gewagt hat, eine vergleichende Analyse von Antisemitismus und Islamophobie als vergleichbare Formen von Menschenfeindlichkeit durchzuführen, was Broders Weltbild gefährlich ins Wanken bringt. (...) Denn diese Analyse macht deutlich, dass Broder mit den Leuten kämpft, die am Ende auch die Juden vernichten wollen. Wenn er sich das zugeben müsste, wäre er am Ende. Also bleibt er in seiner Parallelgesellschaft und träumt davon, nicht bedeutungslos zu sein.

Antisemitismus im Klassenzimmer

Bei der momentan gottseidank endlich in Gang gekommenen Debatte über Islamophobie sollte man nicht vergessen, dass auch Antisemitismus im Alltag noch immer nicht ausgerottet ist:

Gymnasiasten sind die neue geistige Elite Deutschlands, sagen zumindest manche Medien und Politiker. Allerdings ist auch dort Antisemitismus vertreten. Bei uns an der Schule und den angrenzenden Real- und Hauptschulen hat man sich (leider) an Ausrufe wie, “du verdammter Jude” oder “du roter Hund” gewöhnt. Das Wort “Jude” gilt für viele Jugendliche als normales Schimpfwort. Doch was vor kurzem in unserem Klassenzimmer geschah, übertrifft das andere, leider.


Hier geht es weiter.

Bemerkenswert ist, dass in den Kommentaren sofort die Frage auftaucht, ob denn Muslime in der Klasse seien. Denn das eine haben wir inzwischen ja alle gelernt: Antisemitismus geht grundsätzlich nur von Muslimen aus, kein nicht-muslimischer Deutscher würde je auch nur auf den Gedanken kommen, irgendwas gegen Juden zu haben ...

Kurz: Die ganze Debatte ist mittlerweile vollkommen irre geworden.

Sonntag, Juli 19, 2009

Broder und die Islamisten – Brüder im Geiste?

Eine lesenswerte und meiner Einschätzung nach punktgenaue psychologische Analyse, aufgehängt an einem in der Tat unsäglichen Beitrag, den Henryk Broder vor einigen Tagen in der rechtskonservativen Schweizer "Weltwoche" unterbrachte, findet man im Blog Exportabel.

Samstag, Juli 18, 2009

Henryk Broder: Steine aus dem Glashaus?

Henryk Broder ist in Sabine Schiffers vergleichender Analyse von Antisemitismus und Islamophobie als vergleichbare Formen von Menschenfeindlichkeit nicht besonders gut weggekommen. Seitdem versucht er, sie in seinem Blog "Die Achse des Guten" wieder und wieder mit Schmutz zu bewerfen und als politische Radikale hinzustellen, die nicht sonderlich ernst zu nehmen sei. Frei nach dem Motto: "Aber Sie werden doch nicht auf solche Leute hören …" Das kann man machen, diese Strategie verwenden beispielsweise auch die Redakteure der "Jungen Freiheit", wenn sie etwa das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung immer wieder als linksradikal bezeichnen. Vielleicht hat Broder sich diese Taktik dort abgeschaut, ob bewusst oder unbewusst.

Allerdings gibt es bei dieser Vorgehensweise zwei Probleme. Das erste: Die Argumentation des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung ist durchaus wissenschaftlich überzeugend (und ich sage das als Germanist), und das wäre sie auch, wenn sie meinetwegen von Satanisten vorgelegt worden wäre. Dasselbe gilt für die Argumentation von Sabine Schiffer. Hier mit persönlichen Angriffen zu kontern, das zieht in der Regel höchstens bei den eigenen Anhängern. Das zweite Problem ist das, womit Broder Sabine Schiffer angreift.

Nachdem sich das rechtsradikale Blog "Politically Incorrect" Schiffer nämlich darüber ereiferte, dass Schiffer der "iranischen Propagandaseite" IRIB bereitwillig ein Telefoninterview gegeben habe, griff Broder dies für seinen Beitrag Endstation IRIB dankbar auf:
Für jede Profession gibt es eine Endstation. Für Politiker ist es das Europa-Parlament, für Moderatoren 9Live, für Promis das “Dschungelcamp”, für Schlagersänger das Willicher Schützenfest. Und für Nahostexperten das deutsche Programm des staatlichen iranischen Rundfunks, IRIB. Hier treffen sich die Kaffesatzanalysten mit den ins Archiv entsandten Sonderkorrespondenten. (…) Und jetzt auch noch Dr. Sabine Schiffer, Gründerin und Leiterin des Erlanger Instituts für Medienverantwortung. Wie ihre Ko-Kameraden findet sie nichts dabei, sich vom Propaganda-Sender eines Regimes interviewen zu lassen, das die Meinungsfreiheit im eigenen Land unterdrückt. Ja, das ist wirklich medienverantwortliches Verhalten.

Da hört man doch eine starke Mischung aus Entrüstung und Verachtung heraus. Beides würde sich sogar noch überzeugender anhören, wenn man Broder jetzt nicht vorhalten würde, dass er selbst vor wenigen Jahren ein interessantes Interview gegeben habe. Und jetzt raten Sie mal wem.

"Endstation IRIB", in der Tat.

Nun bin ich ja immer gerne bereit, bei einem so netten Menschen wie Broder für entlastende Momente zu suchen. Aber sämtliche Erklärungsversuche bleiben ein wenig unbefriedigend: Hält Broder alle seine Leser für dermaßen dämlich, dass kein einziger von ihnen hinter Broders eigenes Interview mit dem "Propaganda-Sender eines Regimes" kommt, "das die Meinungsfreiheit im eigenen Land unterdrückt"? Oder weiß er einfach heute schon nicht mehr, wem er vor wenigen Jahren ein Interview gegeben hat? Sollte sich das Alter bei Broder am Ende noch durch andere Kennzeichen bemerkbar machen als dass er von Woche zu Woche feindseliger und reaktionärer wird?

Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie zeichnen beide möglichen Erklärungsversuche kein besonders gutes Bild.