Samstag, Mai 30, 2009

Freitag: "Falscher Alarm um Faruk Hosni"

In meinem letzten Eintrag in dieses Blog hatte ich darüber virtuell den Kopf geschüttelt, "dass beinahe ein Antisemit Unesco-Vorsitzender geworden wäre". Um nicht dieselbe Unterlassung zu begehen, die ich in meinen Büchern bei vielen Kollegen angeprangert habe, muss ich - auch wenn ich dafür von den bekannten Propagandablogs wieder Prügel beziehen sollte - meiner journalistischen Sorgfaltspflicht nachkommen und darauf hinweisen, dass es auch diesmal Vorwürfe gibt, einer prominenten Persönlichkeit seien wieder antisemitische Zitate untergeschoben worden. So berichtet die Wochenzeitung "Freitag":

Die Frage ist nur, wer wirklich der Autor ist. Man kann die Zitate bei Google auf Deutsch, Französisch, Englisch oder Italienisch eingeben und stößt auf keine seriöse Quelle, allenfalls auf Netzadressen von propagandistischem Zuschnitt. (…)

Im Fall von Faruk Hosni wie in dem von Ahmadinedschad ist nicht zu unterscheiden, was Propaganda, was Wahlkampf und was Faktum ist. Solange für die Zitate Hosnis keine vertrauenswürdigeren Quellen auftauchen als die Büros und Küchen französischer Medienintellektueller, sollte man sich mit einem Urteil zurückhalten. Mit ihren Eitelkeitspirouetten haben sie die Tradition Émile Zolas, der mit seinem "J’accuse" ("Ich klage an") vom 13. Januar 1898 die Dreyfus-Affäre ins Rollen brachte, längst verraten.


Hier findet man den vollständigen Artikel, dem zufolge auch Israel inzwischen seinen Widerstand gegen Hosni aufgegeben habe (davon berichteten auch andere Medien).

Falls sich diese Zitate tatsächlich mal wieder als nicht haltbar erweisen, finde ich das nicht nur höchst irritierend, sie erinnern mich auch an meine in Büchern wie Warum Hohmann geht und Friedman bleibt dargelegte These, dass solche Fälle von falschem Alarm der zweifellos notwendigen Bekämpfung von Antisemitismus sehr schaden.

Mittwoch, Mai 27, 2009

Verewigen Sie sich für nur 40 Dollar auf Israels Mauer!

Bekanntlich äußere ich mich schon seit längerem nicht mehr zur Israeldebatte, obwohl es Themen genug gäbe – von der neuen Regierung über aktuelle Foltervorwürfe bis zur Blockade der medizinischen Versorgung in Gaza. Allerdings kritisiert mittlerweile die halbe Welt Israel, von einem Tabu kann man beim besten Willen nicht mehr reden, und damit besteht keine Notwendigkeit, dass ich auch noch meinen Senf dazugebe. Hinzu kommt, dass derzeit selbst wohlgemeinte Kritik, freundlich formuliert: nicht immer ganz fair und durchdacht ist (von der Nummer, dass beinahe ein Antisemit Unesco-Vorsitzender geworden wäre, ganz zu schweigen).

Aber das hier will ich dann doch verlinken, vermutlich weil es meine Vorlieben für kreativen Aktionismus und schwarzen Humor gleichermaßen trifft:

Thanks to a group of Dutch and Palestinian activists, people can now immortalize their words on the wall without a passport or a can of Krylon. For $40, you can compose a message at www.sendamessage.nl, and a trio of Palestinian graffiti artists will spray your words on the wall and e-mail you a photo as proof. The only restriction: no messages of hate or anti-Semitism.


(Der Artikel ist in Gänze lesenswert.)

Jetzt warten wir nur noch auf Kommentare wie: "40 Dollar für ein bisschen Graffiti auf der Anti-Terror-Mauer? Diese Palästinenser machen doch aus allem Geld!"

NPD ruft zur bundesweiten Demo gegen Muslime auf

Ich bin mal gespannt, wann der erste aus der Riege der bürgerlichen Islamophoben, die den Boden für derlei Aktionen exzellent bereitet haben, ganz furchtbar überrascht tut:

Die NPD ruft zu einer bundesweiten Demo gegen Muslime auf, die am 1. August 2009 als “Doppeldemo” in Friedberg und Nidda stattfinden soll. Das Motto: “Deutsche wehrt Euch – Gegen Islamisierung und Überfremdung” enthält einen gewollten Anklang an das nazifaschistische “Deutsche wehrt Euch – kauft nicht beim Juden!” der antisemitischen Boykottaktionen vom 1. April 1933. Für die Demo werden Udo Voigt (NPD-Parteivorsitzender), Jörg Krebs (NPD-Landesvorsitzender in Hessen Stadtverordneter in Frankfurt am Main) Mario Matthes (Stellv. NPD-Landesvorsitzender in Hessen), Stefan Jagsch (Landesvorsitzender der JN in Hessen, Mitglied des Wetterauer Kreistages), Daniel Knebel (Mitglied des hessischen NPD-Landesvorstandes) als Redner genannt.


Hier erfährt man mehr.

Aber natürlich sind sämtliche Vergleiche zwischen "altem" Antisemitismus und "neuer" Islamophobie vollkommen absurd und werden nur von wirklich zwielichtigen Gestalten gezogen ...

(Vermutlich steht demnächst auf irgendeiner Website der extremen Linken "Der Männerrechtler Arne Hoffmann macht Reklame für NPD-Aufmarsch", aber gegen die Dummheit kämpfen bekanntlich selbst Götter vergebens.)

Michael Wolffsohn verteidigt Navid Kermani

Im Streit um den Hessischen Kulturpreis hat der jüdische Historiker Michael Wolffsohn den ausgeschlossenen muslimischen Preisträger Navid Kermani verteidigt. Zu einer intellektuellen Debatte gehöre: "Alles was denkbar ist, muss auch ausgesprochen werden können". (…)

Schon der Dialog zwischen Juden und Christen finde oft "nicht einmal auf dem Niveau eines Proseminars" statt, sagte der Professor von der Universität der Bundeswehr München. Vom Islam hätten beiden Religionen dann noch weniger Ahnung. Die Unkenntnis verdecke den Blick auf die Gemeinsamkeiten der Religionen. Der Islam sehe sich in der Tradition von Judentum und Christentum. "Wir brauchen viel mehr Gemeinsames, und wir haben das auch", sagte Wolffsohn.


In all diesen Punkten hat Wolffsohn – wieder einmal – meine volle Zustimmung.

Hier findet man den vollständigen Artikel.

Sonntag, Mai 24, 2009

"Neonazis vom Web 2.0"

Es gibt nicht nur Splittergruppen der Linken, die rechtsradikale Inhalte übernehmen – dasselbe Spiel funktioniert auch andersherum:

Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum spricht über die neuen Neonazis. Sie nutzen Outfit, Musik und Symbole der linken Szene - hassen aber Juden.


Die "tageszeitung" berichtet über das neueste Mimikry der Antisemiten.

Samstag, Mai 23, 2009

"Lizas Welt" ist stocksauer!

Nichts bringt Fremdenfeinde und Rassisten so in Rage wie wenn man sie als Fremdenfeinde oder Rassisten bezeichnet. Dadurch erklärt sich vielleicht der kleine Wutausbruch, den der Autor des Hetzblogs "Lizas Welt" gerade vom Stapel lässt: mutmaßlich ein kommunistischer Buchhändler aus Berlin, aber wie "Politically Incorrect" wird auch dieses Blog natürlich anonym betrieben. Die Gründe kann man sich denken: beispielsweise, dass die antideutsche Szene, zu der dieses Blog zählt, vom Verfassungsschutz beobachtet wird, aber auch viele Linke die Antideutschen für kaum verhohlene Rechtsextremisten halten.

Apropos "Politically Incorrect": Dass ich mich in meinem letzten Blogeintrag ausführlich mit dem neuen Rechtsradikalismus beschäftigt habe, der auf dieser und anderen Websites gepflegt wird, schien den Heckenschützen von "Lizas Welt" richtig wütend gemacht zu haben. Ich meine: richtig sauer. So sauer, dass er für einen eigenen Text knallhart gegen mich zu recherchieren begann und dabei tatsächlich in der Lage war, schwer belastendes Material zusammenzutragen: zum Beispiel dass ich Sexratgeber schreibe! Und politisch für die Männerrechtsbewegung aktiv bin! Nein, spotten Sie nicht: Für ein Blog wie "Lizas Welt" ist das schon eine beachtliche Leistung. Da verzeiht man es, wenn der Autor übersieht, dass ich erst vor wenigen Wochen erläutert habe, wie froh ich über die Existenz meiner Sex-Ratgeber bin: "Denn sobald in einer Diskussion über ein völlig anderes Thema, der hilflose Ausbruch kommt 'Aber Sie haben mal ein Buch über Selbstbefriedigung geschrieben!', kann man sich zufrieden zurücklehnen, weil man weiß, dass man die Diskussion gewonnen hat." Prompt reagiert der Verfasser von "Lizas Welt" wie eine trainierte Seerobbe und tut genau das. Aber vielleicht will er mir auch nur ein weiteres Erlebnis der Befriedigung gönnen.

Was schon eher irritiert, ist, dass die flammende Verteidigungrede von "Lizas Welt" für Blogs wie "Politically Incorrect" und Co. auch auf der "Achse des Guten" verlinkt ist. Dabei kam es dort unlängst zu einer ersten Distanzierung zumindest des Gutachslers Hannes Stein von "Politically Incorrect" – sogar zu der Bewertung "rechtsradikal" konnte er sich durchringen. Allerdings liest sich Steins Text so, als hätten er und seine Mitstreiter niemals irgendetwas mit "Politically Incorrect" zu tun gehabt. Tatsächlich verbündeten sich Broder, Maxeiner, Miersch und Stein mit "Politically Incorrect" bei einem Treffen "pro-westlicher Heimatfreunde", dementsprechend verlinkte Michael Miersch natürlich gerne auf das rechtsradikale Blog, Henryk Broder verteidigte es, Alan Posener nannte seine Autoren herzlich dankend "Kollegen". Hatte man jetzt kurz zu hoffen gewagt, mit Hannes Steins Beitrag ginge den Gutachslern wenigstens ganz allmählich ein Licht auf, stürzt die Verlinkung der "Lizas-Welt"-Schmähschrift gegen das Zentrum für Antisemitismusforschung und für die Islamophobie die "Achse des Guten" wieder in tiefste Finsternis.

Mit sehr viel Wohlwollen kann man allerdings spekulieren, dass Henryk Broder, Michael Miersch und vielleicht sogar dem Verfasser von "Lizas Welt" allmählich dämmert, wie sehr sie mit ihren ständigen Ressentiments gegen den Islam eine neue Fremdenfeindlichkeit in Deutschland wieder hoffähig gemacht haben – ein neuer Rassismus, auf den inzwischen auch das Zentrum für Antisemitismusforschung aufmerksam macht, den ich in diesem und anderen Blogs aber schon seit Jahren analysiere. Ja kann das denn angehen, dass ein Autor von Büchern wie "Onanieren für Profis" politisch hellsichtiger und vorausschauender ist als die berühmten Querdenker und Geistesgrößen Henryk Broder, Michael Miersch und Hannes Stein zusammen? Von dem Heckenschützen hinter "Lizas Welt" ganz zu schweigen? Ja, diese Erkenntnis, mit der für die Genannten auch eine schmerzhafte Selbsterkenntnis verbunden sein dürfte, ist für manchen wohl wirklich ein Grund, in narzisstischen Zorn zu geraten.

Dienstag, Mai 19, 2009

Buchvorstellung: "Islamfeindschaft und ihr Kontext"

Die wachsende Feindschaft gegen Muslime war im Dezember 2008 das Thema einer Tagung des Zentrums für Antisemitismusforschung, bei der die aktuellen Ressentiments mit dem Instrumentarium der Vorurteilsforschung untersucht werden sollten. Vermutlich waren die Veranstalter dieser Konferenz selbst ein wenig überrascht davon, dass diese Feindseligkeiten inzwischen so groß waren, dass die Tagung selbst in heftigen Reaktionen der Presse und der islamfeindlichen Bloggerszene angegangen wurde – überwiegend ohne die gehaltenen Vorträge überhaupt zu kennen. Um die Debatte wenigstens auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, erschien im Februar 2009 eine Dokumentation der Tagung unter dem Titel "Islamfeindschaft und ihr Kontext" im Metropol Verlag.

In seinem Vorwort zu diesem Band widmet sich Wolfgang Benz, der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, kurz dieser politischen Kampagne gegen die Wissenschaft: "In der Bloggerszene wurde mit großer Wut (und weitgehend unter Verzicht auf Anstandsregeln) gekämpft. (…) Die seriösen Medien berichteten objektiv. Zwei israelische Zeitungen haben allerdings Hasstiraden publiziert, die ebenso infame wie obskure Verdächtigungen gegenüber dem Zentrum für Antisemitismusforschung enthalten. Für die Motive des Autors der Beiträge, eines ehemaligen Doktoranden des Zentrums, gibt es Erklärungen, die nicht schmeichelhaft sind. Dass die genannten Zeitungen die Verleumdungen druckten, hat auch Leser in Israel erstaunt." Schließlich entkräftet Benz den Vorwurf, das Zentrum befasse sich angeblich nicht mit dem Judenhass von Islamisten, indem er auf frühere Veranstaltungen zu diesem Thema hinweist.

Von Wolfgang Benz stammt auch der Einführungstext zur Konferenz, worin er erklärt, warum sich das Zentrum für Antisemitismusforschung auch mit der Islamophobie auseinandersetzt: "Die Parallelen von Antisemitismus und Islamfeindschaft sind unverkennbar: Mit Stereotypen und Konstruktionen, die als Instrumentarium des Antisemitismus geläufig sind, wird Stimmung gegen Muslime erzeugt. Dazu gehören Verschwörungsfantasien ebenso wie vermeintliche Grundsätze der Religion, die ins Treffen geführt werden. Die Wut der Muslimfeinde ist dem alten Zorn der Antisemiten gegen die Juden ähnlich; die Verabredung einer Mehrheit gegen das eine oder andere Kollektiv der Minderheit, das als solches ausgegrenzt wird, ist gefährlich, wie das Paradigma der Judenfeindschaft durch seine Umsetzung im Völkermord lehrt." Sowohl der jüdischen als auch der islamischen Religion werde vorgeworfen, sie sei inhuman und verlange von ihren Anhängern aggressive Verhaltensweisen gegenüber Andersgläubigen. Auch die Islamophobie sei "das Resultat von Bedrohungsängsten, die sich gegen die Idee der Toleranz als einer zentralen Kategorie der demokratischen Werteordnung ausweiten."

Beispielhaft als eine der Schriften, die sehr kritisch zu betrachten sind, greift Benz das Buch "SOS Abendland" heraus: "Der Autor, Udo Ulfkotte, ist gewiss nicht ernst zu nehmen, der Verlag gehört ebenfalls nicht zu den renommiertesten Häusern, aber die Leser, deren Ängste angerührt sind, interessiert das wahrscheinlich nicht. Der Text stimuliert das Bedürfnis vieler nach schlichten Welterklärungen und mobilisiert Feindbilder mit suggestiven Fragen". Nicht zuletzt wiederhole der Moscheestreit der Gegenwart antisemitische Motive in den Synagogendebatten des 19. Jahrhunderts.

Der Hauptteil des Buches ist so gegliedert, dass zu vier Redebeiträgen jeweils eines Forschers der Kommentar eines anderen tritt. Der Band schließt mit dem Protokoll der Podiumsdiskussion "Feindbild Muslim – Feindbild Jude" vom 8.12.2008 und einem Anhang Wolfgang Benz' über Antizionismus als islamischen/islamistischen Antisemitismus.

In ihrem Beitrag zum Thema Islamfeindschaft analysiert Angelika Königseder wie etwa die Lehrerin Fereshta Ludin dafür ins Ziwelicht gerückt wurde, dass sie erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht darauf klagte, auch im Unterricht ein Kopftuch tragen zu dürfen. So warf ihr etwa der SPIEGEL vor, sich nie von Extremisten wie Metin Kaplan oder dem Ayatollah Chomeini distanziert zu haben: "Damit unterstellen die Spiegel-Autoren der deutschen Staatsbürgerin Ludin, ohne dass diese sich jemals in irgendeine Richtung extremistisch geäußert hat, eine grundsätzliche Übereinstimmung mit Radikalen." Umgekehrt würde "niemals an einen Bewerber mit christlichem Hintergrund die Anforderung erhoben, sich von radikalen protestantischen oder katholischen Führern im In- und Ausland zu distanzieren, um seine demokratische Gesinnung unter Beweis zu stellen."

Auch die Proteste gegen Moscheebauten erscheinen Königseder fragwürdig: "Dass die Errichtung eines Gotteshauses kein Gnadenakt, sondern ein verfassungsmäßig garantiertes Recht ist, scheinen die Kritiker, die an anderer Stelle regelmäßig betonen, dass die Muslime sich an unser Grundgesetz zu halten haben, nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen." Wenn selbst eine anerkannte Autorität wie der Publizist Ralph Giordano die Proteste im Kölner Stadtteil Ehrenfeld zu einem Rundumschlag gegen den Islam nutze und dafür breite Resonanz fände, werde deutlich, "dass Islamophobie keineswegs nur ein von rechts besetztes Vorurteil ist, sondern weit in die bürgerliche Mitte hineinreicht." Insbesondere aus der FAZ ließen sich zahlreiche Beispiele anführen, von denen Königseder lediglich die "hetzerischen Thesen" in dem Pamphlet "Der Islam will die Welteroberung" eines offenbar fachfremden Althistorikers anführt, das Wochen später von einer fachkundigen Historikerin unerbittlich zerpflückt wurde.

In ihrem Kommentar zu Angelika Königseders Beitrag weist Sabine Schiffer darauf hin, dass ein Hindernis dabei, die Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamophobie zu untersuchen, darin besteht, dass mit dem Begriff des Antisemitismus automatisch "Holocaust" assoziiert wird: "So kommt die Vorstellung von der Relativierung des Holocaust zustande, weil kaum jemand die Verlaufsformen des antisemitischen Diskurses kennt". Wer aber einen Vergleich des islamophoben mit dem antisemitischen Diskurs mit dem Schlagwort "Gleichsetzung" zu unterbinden suche, "verrät seine Zugehörigkeit zum Lager der unwissenschaftlichen Kulturkampfpropagandisten, die mittels Zensur und Tabus gerne unterbinden wollen, dass man deren Agitation erkennt". Dabei falle auf, dass häufig dieselben Leute, die die Verbrechen des Dritten Reichs politisch korrekt in den Rang des Unvergleichbaren heben möchten, keine Bedenken haben, ihrerseits mit solchen Vergleichen zu hantieren: "Wenn (…) davon gesprochen wird, dass vom Iran ein 'atomarer Holocaust' drohe, dann handelt es sich um nichts anderes als einen Nazi-Vergleich, der darauf angelegt ist, die Singularität des Holocaust zu leugnen, was ihn relativiert. Bei diesem wie einigen anderen Vergleichen bleibt der Aufschrei der Empörung jedoch oft aus."

Schiffer führt Ähnlichkeiten zwischen Islamophobie und Antisemitismus aus. So versuchte man die Berechtigung des Antisemitismus auf ähnliche Weise mit Stellen aus Halacha und Thora zu belegen, wie man heute mit Koransuren die Berechtigung der Islamophobie begründen will. Auf antiislamischen Internetplattformen erscheine zudem "bei vordergründiger Beteuerung von Solidarität mit Israel und den Juden eine auffällige Kontinuität in der Ablehnung gemeinsamer Bräuche, wie zum Beispiel des Schächtens als tierfeindlicher Ritus (…) Und ganz aktuell finden Gräberschändungen sowohl jüdischer als auch muslimischer Fredhöfe statt und so wie die jüdischen Gemeinde in Erlangen Schmähbriefe mit Nazi-Symbolen erhält, erhält die muslimische Gemeinde Schmähmails mit vergleichbarem Inhalt, aber ohne Nazi-Symbole". Sowohl gegen das Judentum als auch gegen den Islam gebe es in den einschlägigen islamophoben Weblogs Verschwörungstheorien etwa über eine angebliche Steuerung der Medien: "Der gleiche shizophrene Widerspruch zwischen dem jüdischen oder muslimischen 'Underdog' oder 'Verlierer' auf der einen und dem omnipotenten jüdischen oder muslimischen Weltbeherrscher auf der anderen Seite ist nicht zu leugnen." Schiffer verweist aber auch auf Unterschiede: "Während der Antisemitismus heute offiziell verpönt ist, scheint Islamfeindlichkeit durchaus legitim. Während etwa antisemitische Karikaturen kritisiert werden, sollen antiislamische – wie die dänischen – als Ausdruck von Meinungsfreiheit behandelt werden." Offenbar bestimme der Zeitgeist, gegen welche Gruppe Fremdenfeindlichkeit gerade gerechtfertigt erscheint: So könne es gut sein, "dass wir uns in zehn Jahren wieder hier zusammenfinden, um das antiasiatische/antichinesische Feindbild zu erörtern". (Und wer immer diese Ressentiments dann als erstes in einem Buch zusammenballen würde, könnte damit vermutlich einen gewinnbringenden Bestseller landen.)

In dem auf Schiffers Kommentar folgenden Beitrag behandelt Juliane Wetzel "Judenfeindschaft unter Muslimen in Europa". Zu den Maßnahmen, die gegen von Moslems begangene antisemitische Akte ergriffen werden sollten, nennt Wetzel in Übereinstimmung mit Jean-Christophe Rufin (Mitbegründer von "Ärzte ohne Grenzen") "Diskriminierungen und soziale Marginalisierung einzelner Bevölkerungsgruppen zu beseitigen, aber auch polizeiliche Repressionen und disziplinarische Maßnahmen in den Schulen zu verstärken". Wetzel verweist aber auch auf die aktuelle Forschungslage, der zufolge "entgegen einer verbreiteten Meinung die Muslime in Frankreich nicht mehrheitlich antisemitisch seien und auch der radikale Islamismus eher schwach vertreten sei". Nicht zuletzt sollte muslimischer Antisemitismus nicht dazu verwendet werden, den christlichen Judenhass zu verschleiern: "Ritualmord- und Hostienfrevellegenden ebenso wie längst widerlegte Schuldzuschreibung gegenüber Juden, sie hätten Christus ermordet, sind bis heute nicht gänzlich überwunden. judenfeindliche Versatzstücke im Islam sind weder in ihrer Radikalität noch in ihren Konsequenzen mit den Auswüchsen des christlichen Antijudaismus zu vergleichen" Hier spricht Wetzel an, dass muslimischer Antisemitismus von evangelikalen Gruppen nicht aus besonderer Empathie für Juden und Israel thematisiert werde, auch wenn dies vordergründig so erscheine, sondern um von den schwarzen Flecken auf der eigenen Weste geschickt abzulenken. So gelangt Wetzel zu der berechtigten Frage: "Übernimmt die Fokussierung auf den 'islamisierten Antisemitismus' in Deutschland nicht eine Stellvertreterfunktion, die eine Verdrängung der Auseinandersetzung mit antisemitischen Stereotypen in der Mehrheitsgesellschaft ermöglicht, und passt er nicht allzu gut in das Repertoire einer islamfeindlichen Stimmung, die ihn als willkommene Schuldzuschreibung gegen die Muslime in Deutschland nutzt?"

In seinem Kommentar zu Wetzels Beitrag hinterfragt Sergey Lagodinsky den Ausdruck "Islamophobie" und argumentiert, weshalb der Ausdruck "Moslemfeindschaft" besser geeignet sei. Auch in anderer Hinsicht seien noch begriffliche, empirische und analytische Lücken zu schließen, wenn man das Instrumentarium der Antisemitismusforschung auch auf Ressentiments gegen Muslime anwenden wolle.

Yasemin Shooman widmet sich in ihrem Beitrag der "Islamfeindschaft im World Wide Web". Dazu stellt sie fest, "dass sich im deutschsprachigen Internet eine regelrechte islamfeindliche Szene herausgebildet hat" und führt Websites wie "Die grüne Pest", "Stop Islam" und "Akte Islam. Für Europa – gegen Eurabien" beispielhaft auf. Dieser Szene ist Shooman zufolge gemein, dass sie sich "einen eigenen Sprache mit speziellen Codes bedient und sich dem Kampf gegen den Untergang des Abendlandes verschreiben hat". Auch teilten die genannten Websites "eine bipolare Weltsicht, wonach Muslime keine Europäer sein können. Sie stünden vielmehr für das 'Andere', das, sofern es nicht wirkungsvoll bekämpft werde, sich unaufhaltsam ausbreiten und das 'Eigene' zerstören werde."

Für ihre weitere Analyse greift Shooman aus diesen Websites das "im November 2004 von dem Grundschullehrer Stefan Herre" gegründete Blog "Politically Incorrect" (PI) heraus, das "als exemplarisch für die Entwicklung der islamfeindlichen Internetszene" gelten könne. In einem knappen, aber sachkundigen Abriss stellt Shooman dar, welche Inhalte und Auffassungen man auf "Politically Incorrect" findet: "Stefan Herre und seine Mitstreiter sind davon überzeugt, dass bestimmte Themen, wie der drohende Klimawandel, in den Medien lanciert würden, um von der bevorstehenden 'Islamisierung' abzulenken. (…) Ausgehend von der Annahme, der öffentliche Diskurs werde im Verborgenen von Muslimen gesteuert – wobei die Parallele zu antisemitischen Topoi unübersehbar ist – , wird ein existentielles Bedrohungsszenario entworfen " Zentral sei dabei auch eine ideologische Verzerrung des arabischen Wortes "taqiyya", das bedeutet, dass ein Moslem seinen Glauben verbergen darf, wenn sein Leben und das seiner Angehörigen von Auslöschung bedroht ist. In der Ideologie der Islamophoben bedeute "taqiyya" aber schlicht Täuschung oder Verstellung, so dass etwa auch ein Moslem, der sich nachdrücklich für demokratische Werte einsetzt, lediglich als Beleg dafür verwendet wird, wie verlogen Muslime doch seien. Es gibt mithin für Muslime keine Möglichkeit, die Islamophoben durch ihr eigenes Verhalten von deren Verfolgungswahn abzubringen. In diesem Zusammenhang weist Shooman darauf hin, "dass Muslime nicht die erste religiöse Minderheit sind, gegen die ein solcher Täuschungsvorwurf erhoben wird: In einschlägigen antisemitischen Pamphleten des 19. Jahrhunderts ist diese vermeintlich 'jüdische Eigenschaft' ein ständig wiederkehrendes Motiv."

Shooman erkennt zutreffend, dass die nach Einstellung der redaktionellen Beiträge geöffneten Kommentarbereiche von Politically Incorrect "das eigentliche Herzstück der Website sind. Sie tragen wesentlich zur Selbstinszenierung von PI als Sprachrohr für 'Volkes Stimme' bei. Im Schutze der Anonymität entlädt sich in ihnen eine zum Teil überbordende Aggression." Shooman nennt einige, normalerweise sehr extreme, für PI aber typische Äußerungen als Beispiel und beschreibt den hier stattfindenden Mechanismus: "Die Diskutanten versuchen in ihren Beiträgen, sowohl was die Radikalität der geäußerten Inhalte als auch, was die verbalen Ausfälle gegen Muslime angeht, einander zu übertreffen." Dabei kommen sie bezeichnenderweise "ohne Belege für ihre Anschuldigungen aus, denn Betrug und Täuschung sind in ihren Augen Wesenseigenschaften 'des Islam' und mit ihm aller Muslime oder Menschen, die als solche 'identifiziert' werden." Da auf PI von den "angeborenen unangenehmen Eigenschaften" von Muslimen ausgegangen werde, könne man hier mit Fug und Recht von einem "antimuslimischen Rassismus" sprechen. Auch darin wird Shooman jeder, der die Texte auf Politically Incorrect aufmerksam verfolgt, klar zuzustimmen.

Besonders anerkennenswert ist allerdings, wie Shooman herausarbeitet, dass die islamophobe Gemeinde bei ihrem Treiben nicht von rassistischen Bedrohungsängsten alleine motiviert wird. Indem der Islam nämlich immer wieder mit totalitären Ideologien wie dem Nationalsozialismus verglichen werde, wird mit dem Kampf gegen den Islam auch eine starke Entlastungsfunktion verbunden. "Dieselbe Funktion kommt auch der ständigen positiven plakativen Bezugnahme auf Israel und die Juden zu, mit denen die PI-User eine Art Opfergemeinschaft imaginieren. Sie sehen sich, quasi analog zu den NS-Verfolgten, als 'neue Opfer' – diesmal einer drohenden oder sogar schon verwirklichten pro-islamischen Diktatur in Deutschland." So habe PI etwa nach der Verhinderung des "Anti-Islamisierungskongresses" der vom Verfassungsschutz unter dem "Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen" beobachteten Bürgerbewegung "Pro Köln" im September 2008 mit einem Artikel reagiert, in dem es heißt: "Wer gestern die Vorfälle in Köln mitbekommen hat, kann sich ansatzweise vorstellen, wie sich die Menschen im Dritten Reich gefühlt haben, als sie gegen die Diktatur angekämpft haben. (…) Die Menschen im Dritten Reich haben aus dem Untergrund das System bekämpft, genau das machen wir derzeit auch, wir sitzen im Untergrund."

Diese vermessene Phantasie, mit der sich die PI-Gemeinde von den Erben der Täter auf die Seite der Opfer mogeln möchte und quasi nebenbei die deutsche Demokratie zur islamisch gesteuerten Diktatur erklärt, ist von den wirklichen Verhältnissen natürlich weit entfernt. Aber sie trägt, wie Shooman ausführt, dazu bei, die Hemmungen vor immer extremeren Äußerungen weiter abzubauen: "Handlungsanleitungen zur Diskriminierung von Muslimen werden oft begleitet von Gewaltfantasien, Drohungen und dem Schlachtruf, es müsse endlich etwas getan werden, bevor es zu spät sei." Leider könne man diese Täter-Opfer-Umkehrung, bei der die Mehrheit gewaltsam gegen die als unterdrückend phantasierte Minderheit vorgehen will, nicht als bloße Randerscheinung abtun: "Nach mehreren 'Outings' von Lesern und Gastautoren (darunter ein Zürcher Kommunalpolitiker der Schweizer Volkspartei und eine evangelische Pfarrerin) steht fest, dass die Nutzer solcher Internetangebote keine sozialen Außenseiter sind." Zwar weise "die Verschwörungsfantasie einer 'stillen Islamisierung', das heißt eine durch Muslime im Verborgenen betriebene Zersetzung westlicher Gesellschaften (…), strukturelle Ähnlichkeiten mit antisemitischen Topoi auf". Dennoch werde sie auch in etablierten Medien nahezu inflationär verwendet.

In seinem Kommentar zu Hoomans Beitrag ergänzt Iman Attia, dass Muslime all den Unsäglichkeiten, die man auf Websites wie "Politically Incorrect" findet, inzwischen nicht nur "in anderen – seriösen – Medien" ausgesetzt seien, sondern "insgesamt in ihrem Alltag, in Schule und Beruf, in der Nachbarschaft und beim Einkaufen, in Ämtern und Krankenhäusern". Attia betont: "Wegen ihrer Ungeheuerlichkeit läuft man Gefahr, derartige Äußerungen als versponnen und jenseits ernsthafter Auseinandersetzungen in den Bereich von Mythen oder Psychpathologie zu verweisen". Sie stellten aber lediglich die Spitze des Eisbergs alltäglicher Diffamierungen dar. So gelangt Attia zu dem Fazit: "Die moralisierende Tabuisierung von Antisemitismus schützt Juden (ein wenig?) davor, sich täglich und überall antisemitischen Stereotypen ausgesetzt zu sehen. Sie sind damit jedoch nicht vom Tisch, sondern finden in verschiedenen Formen ein Ventil, unter anderem im antimuslimischen Rassismus."

In seinem Beitrag über den Publizisten Hans-Peter Raddatz, der als einer der Stichwortgeber für die islamophobe Szene gilt, widmet sich Peter Widmann der Frage, "warum Redakteure großer Presse-, Funk- und Fernsehhäuser und Mitarbeiter politischer Bildungseinrichtungen die xenophobe Agitation und die Verschwörungsmythen über Jahre ignorierten, die Raddatz' Schriften von Beginn an prägten." Und Michael Kiefer weist in seinem Kommentar zu diesem Beitrag darauf hin, dass "Wissenschaftler, deren Forschungsergebnisse mit dem islamfeindlichen Weltbild nicht in Einklang zu bringen sind, (…) systematisch mit Schmähkritik und bösartigen Anwürfen überzogen" werden.

Damit schließt sich der Bogen zu den eingangs dieser Buchvorstellung erwähnten Anfeindungen gegen das Zentrum für Antisemitismusforschungen, wie sie insbesondere aus dem Lager Henryk Broders anlässlich dieser Konferenz erfolgen. Von Broder geht nicht nur ein ständiges Gegifte gegen Professor Benz als Leiter des Instituts aus, seine "Achse des Guten" unterstellt dem Zentrum für Antisemitismusforschung in schwach verklausulierter Form sogar selbst Antisemitismus – und zwar seitdem man sich dort auch mit Islamophobie beschäftigt. Auch sobald Sabine Schiffer einen eigenen Band über die Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamophobie ankündigte, dauerte es nur wenige Tage, bis die "Achse" sie offenbar präventiv durch den Dreck zu ziehen versuchte. In ihrem Beitrag über das Hetzblog "Politically Incorrect" erwähnt Yasemin Shooman beiläufig, dass das auf solchen Websites beschworene Zukunftsbild "sich in abgeschwächter Form auch bei deutschen Publizisten wie Henryk M. Broder" findet. Broder hat bezeichnenderweise an "Politically Incorrect" wenig auszusetzen, schließlich stellen die Autoren dieser rechtsextremen Website seinen vermutlich größten Fanblog und widmen ihm immer wieder Anerkennung. Wenn Broder nun wiederholt das Zentrum für Antisemitismusforschung ins Zwielicht zu rücken versucht, dürfte man es mit derselben Rhetorik zu tun haben, die man auf "Politically Incorrect" findet, wenn deren Macher ihren Kritikern wieder und wieder ihrerseits Faschismus vorwerfen. Es scheint der Gedanke dahinterzustehen: "Wenn man uns Faschismus oder Hass auf Minderheiten vorwirft, dann geben wir den Vorwurf eben einfach um so lautstärker zurück, und das wird sich schon irgendwie ausgleichen." Dieses Manöver gelingt indes nur in dem wahnhaften Weltbild der Islamophoben, während außenstehende Dritte schnell erkennen, welche Vorwürfe berechtigt sind und welche ein Hirngespinst.

Es ist dem Zentrum für Antisemitismusforschung hoch anzurechnen, dass es auch angesichts der erwähnten Anfeindungen und einer medial geschürten Stimmung, in der Islamophobie weniger als Problem denn als gerechtfertigter Normalzustand erscheint, die Parallelen zum Antisemitismus warnend aufzeigt – auch wenn manch einer versucht, dies mit einem Sprechtabu zu unterbinden. Wir befinden uns wieder in einer Situation, in der jeder, der sich gegen die neue Fremdenfeindlichkeit ausspricht, mit den widerwärtigsten persönlichen Angriffen rechnen muss – übrigens nicht nur von rechts-, sondern auch von linksaußen, etwa aus dem antideutschen Spektrum. (Ich selbst habe das als Betreiber eines "Watchblogs Islamophobie" beispielsweise durch die linksradikale Zeitschrift "Konkret" bzw. ihren Mitarbeiter Magnus Klaue erlebt.) Um so wichtiger ist es, dass sich möglichst viele Demokraten gegenüber dieser Rhetorik klar positionieren und dem Schüren von Ressentiments entgegentreten: ob sich diese Feindseligkeiten gegen Juden richten oder gegen Muslime.

Sonntag, Mai 10, 2009

"Reichlich spät, aber gut"

Die taz kommentiert die Kölner Massenproteste gegen den Aufmarsch der Rechtsradikalen:

Es sei jedoch daran erinnert, dass der unselige "Moscheestreit" von Köln nicht allein von "Pro Köln" vom Zaun gebrochen wurde. Auch bürgerliche Stimmen wie die von Ralph Giordano im Kölner Stadt-Anzeiger und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatten ihren Anteil daran, den Moscheebau zu einer Gefahr für die Stadt zu stilisieren, indem sie sie sich unfähig oder unwillig zeigten, zwischen demokratischen Muslimen und gefährlichen Fundamentalisten zu unterscheiden.


Deshalb wäre es erfreulich,

würde eine Islam- und Muslimenfeindlichkeit nicht erst dann kritisiert, wenn sie von Rechten angeeignet wird -, sondern bereits, wenn sie sich aus der Mitte der Gesellschaft heraus formuliert.

Samstag, Mai 09, 2009

"Anti-Islamisierungskongress" wird zur Riesenpleite für Rechtsradikale

Das rechte Hetzblog "Politically Incorrect" prahlt mit höchsten Zugriffszahlen, und die vermeintliche "Islamisierung Europas" wird auf dieser und anderen Internetplattformen immer wieder als Katastrophenszenario geschildert, das den Untergang der abendländischen Kultur bedeuten werde. Nur scheinen die radikal Rechten selbst nicht an die Ängste zu glauben, die sie heraufbeschwören wollen – denn zu der als "Massenveranstaltung" angekündigten Versammlung in Köln reisten lediglich einige kleine Grüppchen an. Dietmar Näher fasst zusammen.

Einige weitere Artikel:

Der Kölner "Express" berichtet:

Vor allem durch die Reden, die dort geschwungen wurden, wurde die Stimmung angeheizt. So sprach der ehemalige CDU-Politiker Jörg Uckermann, der zu Pro Köln gewechselt ist, in Bezug auf die angebliche Islamisierung in Deutschland von einer Krankheit. "Wir werden diesen Krankheitserregern keinen Platz machen." (...) Die Stimmung ist aggressiv. Ordner von Pro Köln sind auf Journalisten losgegangen, weil sie verhindern wollten, dass von der Kundgebung Fotos gemacht werden.


Und aus dem Kölner "Stadtanzeiger" erfährt man:

Manche Pro Köln-Demonstranten machen aus ihrer neonazistischen Gesinnung keinen Hehl: So ist auf einem T-Shirt als Aufschrift zu lesen: "Eure Galgen werden schon gezimmert." Überschrift: Deutsch - Stolz - Treue. Als der Träger fotografiert wird, fordert ihn einer der Ordner auf, eine Jacke überzuziehen.


Wie sehen die Reaktionen der Bevölkerung auf diesen Aufmarsch aus?

Tausende demonstrieren friedlich gegen Rechts

Friedliche Proteste gegen Pro Köln

Man darf sich wohl schon darauf freuen, in zahlreichen rechten Blogs davon zu lesen, wie böse linke Gewalttäter die unschuldigen, missverstandenen Konservativen niedermachten.

Fazit: Die Islamophoben sind sehr lautstark, sie stacheln auf der Straße auf, in den Blogs, auf dem Buchmarkt und in so mancher Talkshow, aber sie bleiben eine kleine Minderheit. Die große Mehrheit der Bevölkerung weiß, was sie von solchen Leuten zu halten hat.

Montag, Mai 04, 2009

Kriegshetze: Wie man eine "iranische Bedrohung" konstruiert

Schritt 1: Als erstes findet man zufällig das Video zu einem Interview, das in einer libanesischen Fernsehsendung lief. Darin erklärt ein iranischer General, falls Israel den Iran militärisch angreifen werde, werde dieser vermutlich keine elf Tage benötigen, um Israel auszulöschen. Dieses Video gibt es hier zur Ansicht.

Schritt 2: Ulrich Sahm, der sich vermutlich selbst als "Journalist" bezeichnet, liefert auf dem Sender n-tv eine seine Glanzleistungen, für die er so bekannt geworden ist. In diesem Fall strickt er das erwähnte Interview zu der Meldung "Zerstörung in elf Tagen" – Iran bedroht Israel. In Sahms Beitrag heißt es allen Ernstes:

Der Iran hat erstmals mit einer konkreten Zielnennung die Zerstörung Israels angekündigt. Das israelische Fernsehen zeigte ein Interview mit dem iranischen Generalstabschef Attalah Salihi. Er kündigte eine "Zerstörung Israels innerhalb von elf Tagen" an. Der Arabienexperte Oded Granot erklärte dazu: "Noch nie haben wir eine so klare und offene Ankündigung des Iran gehört." Zwar habe Präsiden Mahmoud Ahmadinedschad die Vernichtung Israels immer wieder "in großen Zügen und als politisches Ziel" angekündigt, doch noch nie so konkret und mit Zeitangabe, wie es Salihi getan habe. Granot habe nicht herausfinden können, wieso die Zerstörung Israels in elf Tagen passieren sollte.


(Sucht man über Google-News, findet man natürlich keine andere "Nachricht", in der von einer solchen iranischen Bedrohung gegen Israel die Rede wäre.)

Schritt 3: Das Husarenstück Ulrich Sahms übernehmen vor allem jene Leute, die es vor erwartungsvoller Ungeduld eines Angriffs auf den Iran anscheinend kaum noch auf den Stühlen hält. An erster Stelle stehen natürlich das rechtsextreme Blog "Politically Incorrect" und sein Schwesterblog "Die Achse des Guten".

Politically Incorrect veröffentlicht den Quatsch unter der Überschrift "Zerstörung Israels innerhalb von elf Tagen".

Auf der "Achse des Guten" schreibt zunächst Henryk Broder ironisch "Iran weiter auf Schmusekurs", wobei er den wohl hundertsten Seitenhieb gegen Katajun Amirpur auszuteilen versucht: Broder kann es ihr offenbar einfach nicht verzeihen, dass sie schon bei einem früheren Versuch, dem Iran eine geplante Vernichtung Israels zu unterstellen, aufdeckte, dass es sich dabei nur um eine fehlerhafte Übersetzung handelte. (Siehe auch hier.) Tatsächlich hat sich Broder vor Wut inzwischen schon so in seinen Teppich verbissen, dass er völlig naiv einen Link zu dem Interview des iranischen Generals in seinen Beitrag stellt, der belegt, dass Ulrich Sahm schlicht irreführend und manipulativ berichtet hatte. (Alternative Erklärung: Broder ist gar nicht blind vor Rage, sondern reibt sich kichernd die Hände, weil er sich denkt: "Hihi, meine verblödeten Leser können sowieso kein Englisch, die schlucken das ohne Probleme.")

Einer, der das in der Tat ohne Probleme schluckt, ist Broders Zöglings David Harnasch (der allerdings auch schon mal zugibt, sich so lästige Dinge wie Recherche lieber zu ersparen, bevor er einen Beitrag raushaut). Vom heimischen Sandkasten aus malt sich Harnasch aus, wie denn so ein pfundiges Bombardement des Iran aussehen könnte … (Motto: "Völkerrecht? Scheiß doch auf das Völkerrecht! Im Zweifel immer plattbomben. Es geht hier um ISRAEL! Antisemit!!")

Natürlich ist die so zusammengestrickte Kriegspropaganda inzwischen auch in diverse andere Blogs und Politikforen gewandert. So wird über das Internet immer mehr Aggression geschürt. Ab hier braucht man eigentlich nur noch abzuwarten, welcher "Qualitätsjournalist" oder Politiker als erstes diesen Unfug aufgreift und von einer "neuen Bedrohung Israels" schwadroniert, die man – am besten durch einen militärischen Angriff – schnellstens unterbinden müsse. Und dann kann die Party beginnen.

Nachtrag, zwei Tage später: Eine ganze Reihe von Blogs hat diesen Beitrag inzwischen aufgegriffen, darunter das vielgelesene Bildblog. Das Bildblog berichtet auch, dass n-tv den Artikel inzwischen klammheimlich geändert hat. Damit dürfte zumindest dieser Versuch, die Öffentlichkeit zu einem Angriff auf den Iran aufzuwiegeln, gescheitert sein. Bloggen lohnt sich eben doch.

Nachtrag, einen weiteren Tag später: Auch die Gegenseite möge gehört werden: Hier findet man die Gegenrede zu meinem Beitrag von Henryk Broder. Wenig überraschend, wenn man Broder kennt, sind die beiden Hauptargumente seiner Argumentation: dass ich nämlich erstens mitten im Wald wohne und zweitens mal den Ratgeber "Onanieren für Profis" geschrieben habe. Über die Existenz dieses Buches bin ich allerdings sehr froh, denn sobald in einer Diskussion über ein völlig anderes Thema, der hilflose Ausbruch kommt "Aber Sie haben mal ein Buch über Selbstbefriedigung geschrieben!", kann man sich zufrieden zurücklehnen, weil man weiß, dass man die Diskussion gewonnen hat.

Dritter Nachtrag: Wie ich erst jetzt entdecke, ist als erstes der traditionellen Medien, ebenfalls wenig überraschend, Springers "Welt" auf die Kriegspropaganda des Netzwerks eingestiegen. Dort schreibt Benjamin Weinthal: "Tatsächlich werden die iranischen Drohungen gegen Israel seit einigen Wochen konkreter. Vor wenigen Tagen erklärte Generalstabschef Attalah Salihi, das iranische Regime könne 'die Zerstörung Israels innerhalb von elf Tagen' leisten." Selbstverständlich enthält Weinthal den Kontext dieser Äußerung – falls der Iran sich verteidigen muss – seinen Lesern vor. (Und die Presseverantwortlichen wundern sich, dass es eine Zeitungskrise gibt, während immer mehr Journalisten durch Propagandisten ersetzt werden.) Um mehr über Weinthals Verortung zu erfahren, genügt es, bei Google "Weinthal Broder" als Suchbegriffe einzugeben.

"Außen Bürger, innen braun?"

Die "Welt" berichtet über eine politische Splittergruppe, die den Islam auf seine radikalste Ausprägung reduziere und damit Fremdenfeindlichkeit schüre. Die "Achse des Guten" um Henryk Broder? Die Jungle World? Nein, in dem Artikel geht es um "Pro Köln".

Freitag, Mai 01, 2009

"Antisemitismus"? Gericht weist Anzeige gegen Palästina-Portal zurück

Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass wir der Bekämpfung des Antisemitismus einen Bärendienst erweisen, wenn man diesen Vorwurf mittlerweile auf Hinz und Kunz ausweitet: Mittlerweile werden Israelis, die für ein weniger brutales Vorgehen gegen die Palästinenser eintreten, mit "von jüdischem Selbsthass getrieben" diffamiert, und in einem sich zuletzt selbst zerfleischenden Tugendterror, der schon an Robespierre erinnert, wird inzwischen sogar der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung mit Vorwürfen bombardiert, selbst dieser Geisteshaltung anzugehören. Zuletzt bleibt nur noch ein kleines Grüppchen von Radikalen und Extremisten übrig, ideologisch beheimatet zwischen Antideutschen und Neokonservativen, das sich selbst als "nicht antisemitisch" bezeichnet, sich vor jeder Kritik einbunkert, aber fast schon wahllos mit dem Vorwurf des Antisemitismus in die Gegend ballert. Wie man damit der breiten Bevölkerung verdeutlichen will, dass Antisemitismus immer noch ein ernstzunehmendes Problem ist und nicht nur in den Köpfen einiger Fanatiker existiert, bleibt ein Rätsel. Wenn weiter jede Form von Kritik an Israel oder auch an prominenten deutschen Juden mit Antisemitismus gleichgesetzt wird, denkt früher oder später fast jeder, der "Antisemit" hört: "Ah, da hat anscheinend wieder jemand Israel kritisiert." Dieser inflationäre Gebrauch eines so aufgeladenen Begriffes tut einer seriösen Debatte nicht gut.

Der neueste Rohrkrepierer bei dieser recht wahllosen Unter-Beschussnahme ereignete sich bei einer Attacke auf Erhard Arendts "Palästina-Portal", wo umfangreich News über den Nahost-Konflikt zusammengestellt sind und dabei Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Palästinensern im Vordergrund stehen. Diesmal allerdings wurde Erhard Arendt nicht nur mit den üblichen unterirdischen Beschimpfungen bedacht, sondern gleich mit einer Strafanzeige, gespickt mit den aggressivsten Vorwürfen ("antisemitische und antiisraelische Hetzwebsite" und dergleichen mehr).

Noch vor Eröffnung der Verhandlung wurde das Verfahren gestern eingestellt.

Erhard Arendt berichtet über die Hintergründe.