Mittwoch, November 15, 2006

Wie bei Amazon antirassistische Kundenrezensionen verschwinden

Meine Idealvorstellung als liberaler Journalist ist, dass in der öffentlichen Debatte Meinung gegen Meinung gestellt werden sollte und sich die besser begründete Meinung durchsetzt. Vermutlich widme ich mich in meinen Büchern und Blogeinträgen deshalb immer wieder Themen, bei denen dieses Ideal bersonders krass verletzt wird. Seltsamerweise stolpere ich in diesem Bereich immer wieder über den SPIEGEL-Journalisten Henryk M. Broder.

So erreichte mich vor einigen Tagen folgende Mail eines mir bis dato unbekannten Herrn:

--- Lieber Herr Hoffmann,
vor einigen Wochen habe ich auf der Amazon.de-Seite Ihre ausgezeichnete Rezension zum neuen Broder Buch gelesen. Ich selbst hatte auch eine Rezension geschrieben.
Heute ist mir aufgefallen, dass weder Ihre noch meine noch sonst eine negative Rezension noch auf der Internetseite zu finden ist, während ältere Rezensionen, die in zum Teil fremdenfeindlichsten Tönen dieses Buch beklatschen, noch zu lesen sind.
Können Sie sich das erklären?
Wollen die bei Amazon keine kritischen Stimmen?
Ich perönlich würde gerne ihre Rezesion zum Buch noch einmal haben und sie auch an Bekannte verschicken. Könnten Sie sie mir zumailen?
Ich habe meinen Text nun einfach noch mal als Rezension auf der Amazonseite abgeschickt. Überhaupt müsste man mehr Leute anregen, ihre kritische Meinung zu derartigen Büchern auf die Amazon-Seite zu setzen.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich eine islamophobe Stimmung in der Öffentlichkeit immer breiter macht, da müsste man entschiedener reagieren. Ein Thema, das mich als Islamwissenschafler im Moment umtreibt.
Beste Grüße
R. Seidel ---

Herr Seidel hatte seine Rezension des Broderbuches im PS seiner Mail beigefügt:

--- Differenzierung ist Broders Sache nicht, wie er gerne öffentlich bekennt. Gegen Polemik ist an sich nichts einzuwenden, doch Pauschalisierung kann, gerade in einer derart aufgeheizten Debatte, brandgefährlich sein. Er schürt Vorurteile, in dem er auf äußerst suggestive Weise Terroristen mit der Mehrheit der Muslime gleich setzt. Er diffamiert diejenigen, die ein Dialog mit den Muslimen suchen und den Islam als das sehen was er ist, eine Religion und eben keine Ideologie. Genau in dieser Vermischung besteht das Problem und die Gefahr. In der Tat gibt es Muslime, die aus ihrer Religion eine restriktive Ideologie zimmern unter ihnen sind solche – und das ist eine wenn auch gefährliche Minderheit – die Ihre Ideologie mit Gewalt verbreiten wollen. Ein verantwortungsbewusster Journalist muss diese klar unterscheiden vom Durchschnittsmuslim. Natürlich kann und muss man mit allen Mitteln des Rechtsstaates - und zwar ohne seine Grenzen zu überschreiten wie Broder offenbar fordert – gegen gewaltbereite Islamistische Gruppierungen vorgehen. Gleichzeitig aber muss man den Dialog mit den Muslimen suchen, um den Radikalen eben nicht das Feld zu überlassen. Wirft man alle in einen Topf, so kann man den Extremisten keinen größeren Gefallen tun.
Die Muslime in Europa sehen sich einer Öffentlichkeit gegenüber, die ihrer Religion als ganzer mehr und mehr mit Unbehangen wenn nicht Ablehnung begegnen. Wer hier weiter polarisiert ist mitverantwortlich dafür, wenn sich bereits integrierte Muslime abgelehnt und ausgegrenzt fühlen, genau das ist der Nährboden für Extremismus. Im öffentlichen Diskurs ist Differenzierung und Aufklärung gefragt nicht plumpe Pauschalisierung und Polemik. Wohin solche im Extremfall führen kann weiß Broder sehr genau. Broder ist kein Wachrüttler, kein einsamer Rufer in der Wüste, sein Buch spielt mit weitverbreiteten Ressentiments und das ist gefährlich! ---

Ich klicke die Amazonseite zu „Hurra, wir kapitulieren!“ an und tatsächlich: Dort findet man mehrere Dutzend Lobhudeleien von Broders Brüdern im Geiste, aber sämtliche negativen Leserkritiken sind verschwunden: meine, Herrn Seidels und jede andere kritische Stimme, die ich noch zuvor dort gelesen hatte. (Meine eigene Rezension kann man bei Erhard Arendt noch nachlesen.)

Ebenfalls bei Erhard Arendt, und zwar hier (ganz nach unten scrollen) findet man die kritische Amazon-Rezension eines Robert Peters-Gercke zu Henryk Broders Buch, geschrieben am 27. September und betitelt mit „Panik, Panik, Panik“. Robert Peters-Gerckes Profil bei Amazon finden wir noch, aber seine Rezension hat sich scheinbar in Luft aufgelöst.

Die Leute, die diese kleine Säuberungsaktion durchgeführt haben, waren übrigens nicht sehr sorgfältig. In einer 5-Sterne-Rezension eines „Graf Haunsperg“ findet sich eine Passage großer Empörung darüber, dass gegen Broder tatsächlich noch Widerspruch stattfindet: „Und ausgrechnet die erste Rezension wird hier von einem selbsternannten Gutmenschen und Terroristenversteher geschrieben, der gerade mal einen Stern übrig hat (doch soviel???), während er wahrscheinlich verklärt den guten Rotwein in seinem Glas kreisen läßt, nachdem er diese Rezension geschrieben hat.“ (Ich bin mir sicher, es dauert keine fünf Jahre, und jeder, der hierzulande noch Muslime verteidigt, wird als „Terroristenversteher“ beschimpft.) Einige Amazon-Besucher dürften sich gewundert haben, von welcher Ein-Sterne-Rezension Haunsperg bloß sprach. In erfrischender Offenheit lässt unser Graf in den folgenden Absätzen die Katze aus dem Sack und macht klar, wie wenig es ihm in Wahrheit gegen Terroristen geht, sondern vielmehr gegen diese verfluchten Ausländer insgesamt: „Sie nutzen uns und unsere Sozialsysteme aus, ihre Heimatländer kassieren Milliarden an Entwicklungshilfe und wenn es dann noch nicht reicht, versuchen sie, uns Schuldgefühle einzuimpfen.“ Solche Sprüche hat man an deutschen Stammtischen schon lange vor dem 11. September gehört. Henryk Broder freut sich bestimmt einen Wolf, dass seine Worte bei solchen Lesern auf furchtbaren Boden fallen.

Da es immer schon mal mein Traum war, auch bei meinen Büchern Ein-Sterne-Rezensionen einfach verschwinden zu lassen, beschließe ich, mich bei Amazon zu erkundigen, wie man das bewerkstelligen muss. Also frage ich in einer Mail: „Als ich mir die Seite zu Henryk Broders Buch soeben noch einmal angeschaut habe, musste ich feststellen, dass in der Tat nicht nur meine, sondern auch sämtliche anderen Ein-Sterne-Rezensionen des Buches verschwunden sind, während selbst offen fremdenfeindliche Kommentare auf Ihrer Website noch zu lesen sind. Was geschieht da gerade?“ Zwei Tage später erreicht mich folgende Antwort einer Amazon-Mitarbeiterin:

--- Bei der standardmäßigen Überprüfung aller eingehenden Kundenrezensionen kam es in diesem Fall leider zu einem Übersehen der von Ihnen angesprochenen Inhalte. Daher wurden die Kundenrezensionen zunächst live gestellt. Nachdem der Fehler bemerkt wurde, wurden die Rezensionen jedoch umgehend entfernt. ---

Putzig. Darf man das verstehen, als: Wenn uns gleich aufgefallen wäre, dass diese Rezensionen kritisch sind, hätten wir sie erst gar nicht online gestellt? Ganz herzlichen Dank jedenfalls, mit dieser Antwort sind sämtliche Klarheiten vollständig beseitigt.

Herr Seidel, auch nicht untätig, erkundigt sich nun seinerseits im Bermudadreieck Amazon, wohin denn seine Rezension verschwunden sei. Ihm antwortet dieselbe Mitarbeiterin mit folgender Mail:

--- Ich habe Ihre Rezension erneut überprüft. Ihre Rezension haben wir jetzt wieder online gestellt. ---

Nichts davor und nichts dahinter, außer dem üblichen Blabla, wie sehr sich Amazon über jede Kundenrezension freue.

In der Tat, Amazon hat Herrn Seidels Rezension neu veröffentlicht. Und zwar gleich zweimal hintereinander: zuerst die ursprüngliche und darüber die leicht überarbeitete neue Fassung. Bin gespannt, wie lange sie dort stehen bleibt. Alle anderen kritischen Leserrezensionen bleiben bis heute verschwunden. Es fragt ja auch kein anderer bei Amazon nach. Wer kommt denn auf die Idee, Tage später noch einmal nachzuschauen, ob seine Rezension noch veröffentlicht ist? Wenn ich in meiner Buchbesprechung meine Identität nicht vollständig offengelegt hätte, wäre Herr Seidel auch nie auf den Gedanken gekommen, mich anzumailen, und dass hier sämtliche kritischen Rezensionen in einem Aufwasch entfernt worden waren, hätte niemand je zur Sprache gebracht.

Nun weiß natürlich jeder, der sich in der Branche auch nur ein bisschen auskennt, dass bei Amazon.de für Tricksereien sämtliche Tore sperrangelweit offen stehen. Besonders unterhaltsam ist es, wenn man sich die Amazon-Seiten zu manchen per Books-on-Demand erschienenen Werken anschaut, auf denen sich teils mehrere 100 sich vor Begeisterung überschlagende Rezensionen finden, die aber alle aus nur wenigen Zeilen bestehen und sämtlich in exakt demselben schauerlichen Deutsch geschrieben sind. Marketing für Doofe. Aber keinem dieser Autoren ist es gelungen, sämtliche Verrisse entfernen zu lassen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe keine Ahnung, was in diesem Fall vorgeht. Die Auskünfte von Amazon sind schließlich alles andere als erhellend. Weit möchte ich die Spekulation von mir weisen, der Autor selbst könnte hier seine Finger im Spiel haben. Jemand, der seinen ehemaligen Verleger öffentlich mit Hitler in Verbindung bringt oder einer Transsexuellen mitteilt, sie sei ein „ekelhafter schlamper“ und „verblödeter pädo-eunuch“, bei dem man sich nicht mal „mit einem tritt in die eier bedanken“ könne, und der sich auch sonst in Beleidigungen geradezu suhlt – der wird doch sicher weit gemäßigtere Kritik an ihm selbst ohne größere Probleme vertragen können? (Andererseits prozessiert Broder gerade gegen den Künstler Erhard Arendt, weil dieser Zitate von und über Broder in einer Weise zusammengestellt hatte, die auf Broder nicht gerade ein gutes Licht wirft.) Aber es sind unterschiedliche Hintergründe möglich: Haben fanatische Broder-Verehrer bei negativen Besprechungen massenweise „Diese Rezension ist unzumutbar“ angeklickt? Sitzt irgendwo bei Amazon ein ausländerfeindlicher Zausel, der meint, unter dem drohenden Ansturm der muslimischen Horden müsse die Meinungsfreiheit eben mal zurückstehen? Denkbar ist beides, wenn man sich die Hysterie einmal zu Gemüte führt, die in den gängigen Muslimhasserportalen tagtäglich am Wüten ist.

„Wir brauchen keine Raketen, genauso wie die Musels ohne Ausnahme unter unschuldigen Westlern wüten, werden wir unter ihnen wüten, Millionen von ihnen sind spot-on in unseren eigenen Cities, ohne Ausnahme können wir furchtbaren Schaden unter ihnen anrichten“ tobte noch vor kurzem ein Stammposter mit dem hübschen Nick „gespenstvonslobodan“ auf der Website „politically incorrect“, mit der auch Henryk Broder in einem innigen Verhältnis steht. Und weiter: „Ich hoffe schon nicht mehr das sich noch was ändern wird weil das eben auch nicht eintreten wird... also Musels aufgepaßt, wenn eure radikalen Wahnsinnsbrüder wieder was furchtbares aushecken werden auf unserer Seite tausende bereit sein das Grundgesetz und die Menschenrechte im Keller für spätere Zeiten zu verstauen... Und dann, Musels, dann fürchtet euch: Allah gibt es nicht, er ist nur ein kleines schmutziges Teufelchen in eurem Gedanken zum Gott erhoben, ihr werded das Feuer entfachen und nicht nicht ein einzelner von euch wird es überleben ...“

„Es gibt in Deutschland eine schleichende neue Akzeptanz für Fremdenfeindlichkeit“ hatte Bischöfin Margot Käßmann gestern auf einer BKA-Tagung gesagt. In einigen Teilen unserer Bevölkerung schleicht diese Fremdenfeindlichkeit schon lange nicht mehr. Sie rast. Und auch ich habe den Eindruck, dass sie sich immer mehr in die Mitte der Gesellschaft hineinbewegt.

Was hier bei Amazon geschehen ist, geht über die üblichen Autorentrickserien hinaus. Es hat eine politische Qualität. Sicherlich können Manipulationen bei diesem marktführenden Online-Buchhändler einem Autor schon die Taschen füllen: mehrere Dutzend begeisterte Rezensionen ohne einen einzigen Widerspruch, das kann einen enormen Anstieg der Auflage bedeuten, dann die SPIEGEL-Bestsellerliste, dadurch Einladungen in Talkshows, noch mehr verkaufte Titel, alles in allem eine enorme Bestätigung der narzisstischen Grandiosität. Drauf geschissen. Was viel gravierender ist und worüber meines Wissens noch nie geschrieben wurde, ist das enorme politische Manipulationspotential, das ein Unternehmen wie Amazon eröffnet. Stichworte Meinungsdruck und Schweigespirale: Man klickt auf die Website zu Broders Buch, findet nur seitenweise begeisterte Zustimmung und keinerlei Widerrede, denkt sich „Wenn es ALLE sagen, dann muss es wohl stimmen“ und überlegt sich in Zukunft dreimal, ob man die Klappe aufmacht, um sich für Muslime einzusetzen. Andernorts im Internet findet man hier wie dort auch kritische Stimmen zu Broders Buch, aber den Massen, die bei Amazon einkaufen, wird einhellige Zustimmung suggeriert. Wie lautete noch das Motto der amerikanischen Neokonservativen? „Let´s make our own reality“. Wer wissen wollte, wie es aussähe, wenn bestimmte Brüder hierzulande an der Macht wären, brauchte sich nur diese Amazonseite anzuschauen, bevor Herr Seidel wenigstens die Veröffentlichung seiner Rezension zurückerkämpfte: Da herrschte die Einheitsmeinung.