Mittwoch, November 08, 2006

Erdrutschsieg begräbt Bush: USA wieder demokratisch

O happy dayhaaay ... *träller*

Vor wenigen Wochen habe ich hier gebloggt, dass sich das Problem mit den neokonservativen Schlaumeiern wohl bald von selbst erledigen wird. Heute hat der Teil Amerikas, der für Folter, Krieg und staatlichen Mord steht, einen gehörigen Denkzettel erhalten. Jubel in vielen Teilen der Welt, Heulen und Zähneknirschen bei etlichen menschenfeindlichen Politikern und Kommentatoren. Sogar über ein mögliches Amtsenthebungsverfahren George Bushs wird inzwischen diskutiert. Und in der Tat ist es höchste Zeit, die gesamte Bande mit Schimpf und Schande zum Teufel zu jagen.

Ein besonderes Bonbon: Minnesota schickt den ersten Muslim in den Kongress! Da werden so einige Leute aber kraftvoll in ihren Teppich beißen.

Bleibt die Frage, warum viele Amerikaner es im Gegensatz zum Rest der Welt nicht schon Jahre früher erkannt hatten, mit was für einer Type sie es bei George Bush zu tun hatten, und ihm treudoof eine zweite Amtszeit gewährten. Liegt das wirklich nur am Trauma des 11. September? Nein, erklärt der New-York-Times-Journalist Frank Rich in seiner kürzlich erschienenen, fulminanten Analyse The Greatest Story Ever Sold: ein Buch, das in den USA sofort zum Bestseller wurde und das auch ich gerade mit großem Interesse verschlinge.

Rich untersucht in seinem Buch, wie George Bush und seine Gang den Terrorismus als willkommene Gelegenheit nutzten, um sich selbst Macht und Reichtum zu sichern. Dabei legt er besonderes Augenmerk auf die umfangreiche PR-Maschinerie, die das Kunststück fertigbrachte, eine ganz eigene Wirklichkeit zu erzeugen: „creating our own reality“, um mit den Bushisten zu sprechen.Richs recherchestarke Analyse (hundert Seiten Anhang mit einer exakten, durch Quellen und Zitate belegten Chronologie aller Skandale) fasst die zentralen Vorgänge der letzten Jahre zusammen: Wie die Neokonservativen mit Schmierenkamapgnen intellektuelle Regierungskritiker wie Susan Sontag und Noam Chomsky geradezu zu Staatsfeinden erklärten, wie sie auch der politischen Opposition verbieten wollten, George Bush zu hinterfragen („Wie kann es Senator Daschle wagen, George Bush zu kritisieren, während wir unseren Krieg gegen den Terror führen?“), wie sie der amerikanischen Bevölkerung weismachten, Saddam Hussein verfüge über bedrohliche Massenvernichtungswaffen, wie sie einen „Sieg“ im Irakkrieg inszenierten, der keiner war, wie sie mit Pressemeldungen manipulierten und gefälschte Leserbriefe pro Krieg von angeblichen Soldaten an Zeitungen sandten - und wie eilfertig sich viele amerikanischen Medien selbst zensierten, um nicht als Vaterlandsverräter dazustehen. Rich zeichnet so das Bild einer fast schon totalitär anmutenden Kontrolle der öffentlichen Meinung, wobei sich immer mehr herausschält, dass man entweder Bushist sein kann oder Liberaler, aber auf keinen Fall beides zusammen.

Wenn dieses Buch je in deutscher Übersetzung erscheint, müsste es eigentlich ein besonderes Vorwort enthalten über die vielfältigen Versuche, auch hierzulande sämtliche Kritiker am Großen Führer George W. Bush durch den Schmutz zu ziehen: indem man sie etwa als „antiamerikanisch“ beschimpfte und manchmal, mit Hilfe einer besonders verqueren Logik, sogar als „antisemitisch“. Da wurden schon sämtliche denkbaren Register gezogen, um möglichst viele kritische Geister dazu zu bringen, aus Angst um ihren guten Ruf lieber die Klappe zu halten. Deutsche Medien, die sich erdreistet hatten, Bush zu kritisieren, von „Spiegel“ über den „Weltspiegel“ bis zu „Panorama“, sind für so einige neokonservative Blogger und ihre Leser grundsätzlich des Teufels; kurioserweise sind es dieselben Blogger, die sämtliche Deutschen als „autoritätshörig und rechthaberisch“ verächtlich machen: ein Musterbeispiel jenes Prozesses, den Psychologen gemeinhin als Projektion bezeichnen. (Und wer glaubt, dass eine politische Gruppierung, die 1,5 Milliarden Moslems kollektiv als überempfindlich und hyperaggressiv darstellt, bei uns Deutschen weniger chauvinistisch wäre, der zeigt eine beachtliche Naivität. Wie perfekt Rassisten, Neocons und Antideutsche Hand in Hand arbeiten, hat man in der Bloggerszene der letzten Jahre ja bestens beobachten können.)

Wenn man einige Zeit lang in verschiedenen neokonservativen Blogs gelesen hatte, entdeckte man vor allem zwei herausragende Charakterzüge: ein atemberaubendes rhetorisches Feuerwerk, das häufig die nüchterne Faktenlage überdecken sollte, und ein Stil der geradezu grenzenlosen Arroganz. Wer immer sich der Ideologie dieser selbsternannten Weltbeglücker nicht anschließen mochte, wurde zwischen Kleinkriminellen und Halbidioten eingeordnet. Offenbar gehört zum neokonservativen Selbstbild als Erlöser der Menschheit eine gehörige Portion Narzissmus. Ärgerlich ist es allerdings, wenn die „unterbelichteten, rechthaberischen Deutschen“ dann aber tatsächlich in allen Punkten Recht behalten haben: von Saddam Husseins nicht existenten Massenvernichtungswaffen bis zum erwartbaren Riesen-Fiasko der US-Truppen im Irak. Viele ältere Beiträge aus der neokonservativen Bloggerszene wirken da rückblickend betrachtet hochnotpeinlich. Unverdrossen ignorierten das Dabbeljuhs Mannen und nahmen für den nächsten Völkerrechtsbruch bereits den Iran ins Visier. Für so viel Unbelehrbarkeit werden sie jetzt selbst mit einem riesigen Besen aus der Geschichte gefegt.

Aber genug damit. Diese Ideologie ist kläglich gescheitert, auch wenn der Hass uns noch mindestens über Jahre hinweg beschäftigen wird, den die Broders, Miersches und Herres in die Welt gestreut haben und sicher auch weiter streuen werden. Es liegt einiges an Aufräumarbeit vor uns. Was wir jetzt brauchen, ist vor allem ein starkes Europa, das sich gegenüber den USA gut behaupten kann und sich nicht von jedem Gauner an die Kandare nehmen lassen muss, der im Weißen Haus gerade das Sagen hat. Unberstritten gibt es eine ganze Reihe von internationalen Herausforderungen, auch und gerade im islamischen Teil unserer Welt. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn man sich endlich verantwortungsbewusst damit auseinandersetzen könnte, statt zu sehr damit beschäftigt zu sein, ständig vor unserer eigenen Tür kehren zu müssen.