Donnerstag, August 10, 2006

10. August 2006

Wieder einmal bringt der Antisemitismus-Vorwurf einen Menschen dazu, den Mund zu halten: Diesmal traf es den norwegischen Schriftsteller und Menschenrechtler Jostein Gaarder (Autor des Bestsellers „Sophies Welt“ und Träger des Willy-Brandt-Preises). Er wurde nach seiner scharfen Kritik an Israel als „Antisemit“ angegriffen und möchte daher zu diesem Thema in Zukunft lieber schweigen. Gaarder gilt der FAZ zufolge als eher sanft und still, einen Großteil seiner schriftstellerischen Einkünfte brachte er in eine Stiftung gegen Umweltzerstörung und Doppelmoral ein. Seinem aktuellen Essay zufolge war ihm Israels momentanes Vorgehen im Libanon jedoch spürbar an die Nieren gegangen: „Wir nennen Kindermörder Kindermörder und werden niemals akzeptieren, dass sie ein göttliches oder historisches Mandat haben, das ihre Schandtaten rechtfertigen könnte. Wir sagen nur: Schande über alle Apartheid, Schande über ethnische Säuberungen, Schande über alle Terroranschläge gegen die Zivilbevölkerung, ob die nun von Hamas, Hisbollah oder dem Staat Israel begangen werden!“ Auch hatte Gaarder das Selbstverständnis der Juden als „Gottes auserwähltes Volk“ zurückgewiesen. Zwar sei die Mehrzahl der Reaktionen auf seinen Essay positiv ausgefallen: „Mit seiner mutigen und wohlbegründeten Analyse lasse sich ein norwegischer Schriftsteller endlich einmal nicht einschüchtern“ hatte ein Kollege bekundet, andere urteilten, dass Gaarder „kluge, klare und humane Worte“ gefunden habe. Aber dafür gerieten einige Attacken auf Gaarder besonders schrill und verletzend: So tönte die jüdische Schriftstellerin Mona Levin, Gaarders Essay sei das Widerlichste gewesen, was sie seit Hitlers „Mein Kampf“ gelesen habe. Dass Gaarder sich im Unterschied zu Hitler GEGEN Krieg und GEGEN den Glauben an eine Herrenrasse ausgesprochen hatte, musste ihr vor lauter Empörung entgegangen sein. Zum ersten Mal in seinem Leben, so heißt es in der FAZ weiter, schaue sich Gaarder besorgt um. Von denjenigen, die sich bei der Verteidigung der rassistischen Mohammed-Karikaturen in ihrem „Kampf für die Meinungsfreiheit“ noch täglich selbst überboten hatten, ist im Fall Gaarders derweil nur ohrenbetäubendes Schweigen zu hören.