Sonntag, Februar 05, 2006

4. Februar 2006

Das Rupert-Neudeck-Jagdkommando hat es mittlerweile immerhin geschafft, dass sein Buch „Ich will nicht mehr schweigen“ in der Berliner ”taz” vorgestellt wird - und das von keinem Geringeren als Bahman Nirumand: „Wie kommt es, dass es in der politischen Kultur der Bundesrepublik eine geradezu totalitär verfestigte Ideologie zum Thema Israel und Antisemitismus gibt“ zitiert Nirumand zunächst Abraham Melzer, den Verleger des Buches. Das Unrecht beim Namen zu nennen und Widerstand dagegen zu leisten sei heutzutage wieder ein Wagnis geworden. Schließlich falle „jede Kritik gegen Israel `entweder durch den Rost der öffentlichen Meinung oder wird auf diesem Rost gegrillt´. Kritiker, selbst jüdische, die in Konzentrationslagern Qualen erlitten haben, werden als `Nestbeschmutzer´, `jüdische Selbsthasser´, `Antisemiten´ oder `Rassisten´ abgestempelt. Journalisten, Politiker und intellektuelle Meinungsmacher in Deutschland haben um Israel eine Front aufgebaut, die niemand ohne den Verlust seines Rufs zu riskieren, durchkreuzen könnte, so Neudeck. Er selbst habe sich oft in Israel aufgehalten und Unerträgliches erlebt, er sei aber so `benebelt und blind´ gewesen, dass er alles Jüdische von vornherein `in einem günstigen und sympathischen Licht´ gesehen habe. Doch bei seinen letzten Reisen sei das erlebte Unrecht so erschütternd gewesen, dass er nicht mehr darüber schweigen konnte.“ Bleibt zu hoffen, dass sich auch bei möglichst vielen anderen Menschen diese Umnebelung legt.

Ein Sehender, auch er natürlich über Jahre gnadenlos angefeindet und begeifert, ist Norman Finkelstein. Sein demnächst auch hierzulande erscheinendes Buch mit dem Originaltitel „Beyond Chutzpah“ widmet Alfred de Zayas in der FAZ (Link steht aktuell leider nicht mehr) eine Kurzvorstellung. Dabei handele es sich unter anderem um eine Absage „an Alan M. Dershowitz, eine(n) der führenden Vertreter des amerikanischen Zionismus, der in seiner Streitschrift `The Case for Israel´ (2003) die Folterpraktiken israelischer Militärs und Geheimdienstler, die teils wahllose, teils gezielte Tötung Tausender von Palästinensern, die Vertreibung Hunderttausender von ihnen seit der Gründung Israels und die Zerstörung ihrer Heime zum Zwecke des Baues jüdischer Siedlungen arrogant rechtfertigte. Finkelstein, auch er Jude und Sohn von Holocaust-Überlebenden, greift seinen Gegner direkt an und fordert im Umgang mit der Geschichte und Gegenwart Israels intellektuelle Redlichkeit ein (…) Aber das Buch ist zugleich nüchterne Abhandlung und Analyse, die zu dem Schluß führt, daß Dershowitz' Ausführungen nicht nur dreist und arrogant im Ton sind, sondern von Halb- und Unwahrheiten strotzen. Man kann die Vielfalt und Seriosität der von Finkelstein herangezogenen Geschichts- und Rechtsquellen kaum genug hervorheben: Berichte von Amnesty International, Human Rights Watch, Plenarsitzungen der UN-Menschenrechtskommission und vieles andere mehr. (…) Anhand zahlreicher Beispiele illustriert er, wie auch die zaghafteste Kritik an Israel in den amerikanischen Medien und in der politischen Öffentlichkeit zum Vorwand genommen wird, die Rufer und Mahner ins antisemitische Lager abzudrängen.“ Wie ich in diesem Blog immer wieder aufgezeigt habe, ist diese Praktik in unseren deutschen Medien allerdings erst recht ein Renner. Zayas indes fordert als denkbares Fazit aus Finkelsteins Buch: „Vielleicht sollte die EU versuchen, Einfluß auf Israel zu nehmen, und verlangen, daß sie die UN-Resolutionen in die Tat umsetzt und die Feststellungen des Internationalen Gerichtshofes vom 9. Juli 2004 bezüglich der Völkerrechtswidrigkeit der Trennungsmauer respektiert.“

Aber Moment? Dershowitz Buch, auf deutsch erschienen im Europa-Verlag als „Plädoyer für Israel“, strotze nur so vor Halb- und Unwahrheiten? In der Tat: Zu demselben Ergebnis kam Ernest Goldberger bereits in der „Neuen Zürcher Zeitung“, wo er über Dershowitz Israel-Plädoyer schreibt: „Darin bezeichnet Dershowitz beispielsweise die Beachtung der Menschenrechte in den besetzten Gebieten durch Israel als grossartig (superb) und diskreditiert alle Menschenrechtsorganisationen, die seit Jahren präzis und unbestreitbar schwere Verletzungen von humanen Grundrechten der palästinensischen Bevölkerung belegen. Dershowitz geht so weit zu behaupten, dass Israel nicht an das internationale Recht gebunden sei und sich dieses daher nicht vorhalten lassen müsse. Er hält sich an seinen öffentlich wiederholt verkündigten Grundsatz, seine Aufgabe sei die Freisprechung der von ihm verteidigten Straftäter, auch wenn er um deren Schuld wisse.“ Doof halt auch, dass Finkelstein anhand ausführlicher Textstellen nachweisen kann, dass Dershowitz zu weiten Teilen ein Buch plagiierte, welches von Fachleuten schlicht als „hoax“ (soviel wie „Scherz“ oder „Zeitungsente“) betrachtet wird.

Da ist es natürlich hochgradig pikant, wenn man weiß, dass die Autoren der sogenannten „Achse des Guten“ sich über Dershowitz Mumpitz in einen Orgasmus nach dem anderen hineingesteigert haben. So viel Unverstand können Sie sich selbst bei denen nicht vorstellen? Doch, doch, doch: Als erstes rubbelte sich Michael Miersch einen daran ab („Aufkärung pur“), dann gab er das Teil weiter an Tobias Kaufmann, in dessen heißer Phantasie der Winkeladvokat Dershowitz gar zum Helden eines Hollywood-Streifens gerät („Die Vorwürfe der Anklage ließe er vor der Jury mit Fakten, aber auch mit rhetorischen Falltüren, ins Bodenlose stürzen, und jeder im Saal, der sich vorschnell auf die Seite der Anklage geschlagen hat, sänke peinlich berührt in seine Bank zurück ...“) Vielleicht ein bisschen mehr Realität als schlechtes Ami-Kino, meine Herren, wenigstens wenn es um die Menschenrechte geht? Oh, und habe ich erwähnt, dass Henryk Broder zu diesem Buch das Vorwort verfasst hat? Ich fürchte, den Herrschaften dieses Netzwerks sind ihre herben Fehlgriffe nicht mal im Nachhinein peinlich …

Falls Sie den Eindruck haben, ich sei hier gerade ein wenig polemisch geworden, dann kann ich Ihnen nur ans Herz legen, sich Finkelsteins Aufklärungsschrift selbst zu besorgen. Sie erscheint unter dem Titel „Antisemitismus als politische Waffe“ in wenigen Wochen im Piper-Verlag. Und dann vergleichen Sie seine Zerlegung von Dershowitz doch einfach mal mit den Lobeshymnen der „Achse“. Viel Vergnügen - Sie werden es haben!