Dienstag, Januar 31, 2006

31. Januar 2006

In der “Welt” von heute schreibt Geert Mak uns Deutschen einen offenen Brief aus den Niederlanden, den sich so einige hinter den Spiegel stecken sollten. Mak warnt uns vor einer Ansteckung durch das „Holländische Fieber“, eine Panik im Umgang mit muslimischen Einwanderern: „Schnell wurde von einigen neuen Ideologen jedes gesellschaftliche und großstädtische Problem auf den Gegensatz von Aufklärung und Islam, von säkular und religiös reduziert, schließlich auf ein `wir´ gegen `die´. Die Folgen dieser beschämenden Hetze sind folgende: Immer mehr jugendliche Immigranten distanzieren sich jetzt von ihrem neuen Vaterland, wollen zurück in die `Heimat´. Dabei handelt es sich meist um die erfolgreichsten Gruppen, die Studenten und die ambitionierten jungen Frauen - also genau diejenigen, die in ein paar Jahren als die zentralen Brückenbauer hätten fungieren müssen. Mit all der verschwommenen Ideologie und moralischen Panik wurde kein einziges Problem gelöst. Statt dessen sind neue hinzugekommen.“

Eine andere Hysterie im selben Zusammenhang spricht derweil Jürgen Kaube in der “Frankfurter Allgemeinen” an: Es geht um den angeblichen Zwang zur deutschen Sprache auf dem Schulhof. Kaube: „Abgesehen davon, daß Schulen dazu da sind, manche Formen der Persönlichkeitsentfaltung zugunsten anderer einzuschränken, gibt es jenes Verbot gar nicht, gegen das sich die Sprachrohre in Stellung brachten. Ja, wenn die Pausenregel gar nicht auf Zwang beruhe, dann sei das natürlich etwas anderes, ließ sich die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, im Fernsehen vernehmen. Auf den Gedanken, sich erst zu informieren und erst dann eine Zwangsgermanisierung zu befürchten, kommen viele erst gar nicht. Wenn aber nicht nur einzelne so reflexhaft reagieren, wenn es nicht nur die berufsmäßigen Empörer sind, wenn der Reflex fast unabhängig vom politischen Standort einrastet - dann muß nicht über die Sache, sondern eben über den Reflex gesprochen werden. Es ist ein Reflex, den so nur das Wort `Deutsch´ auszulösen vermag. Mit diesem Reflex muß rechnen, wer davon spricht, es komme darauf an, aus Einwanderern Deutsche zu machen; wer eine Trivialität wie die betont, die deutsche Sprache sei hierzulande die Norm; wer gar so weit geht, die Teilhabe an dem, was Deutschland ausmacht, für ebenso gut wie erreichbar zu halten. (…) Der an und durch Deutschland leidende Dichter - Büchner, Heine, Brecht, Thomas Mann - ist der prototypische Autor für die höheren Schulklassen. Alle Autoren hingegen, die deutsch im Sinne regionaler Traditionen und Sonderwinkelhaftigkeiten sind - Karl Philipp Moritz und Jean Paul, Hebel und Mörike, Stifter und Schnitzler etwa, die noch an anderem litten als an Deutschland -, gelten nicht in gleichem Maße als vorbildlich (…) Zu diesen Befunden gehören solche aus Geschichtsstunden, für die das Gravitationszentrum der deutschen Geschichte Auschwitz heißt. Durch sie erschließen sich Effekte, die zuletzt eine Forschergruppe um den Ethnologen Werner Schiffauer festgestellt hat. An türkischstämmigen Schülern beobachtete sie das Befremden darüber, daß Deutschland im Unterricht durchweg als schwieriger, bedenklicher, fataler Fall dargestellt wird. Nicht daß es diesen Fall nicht gäbe - aber daß seine Aspekte in der Selbstdeutung der deutschen Kultur und Geschichte als die einzig erheblichen auftreten, muß auf Schüler, denen man zugleich Integration empfiehlt, befremdend wirken.“