Donnerstag, Dezember 15, 2005

15. Dezember 2005

Die Salami-Technik bei der schrittweisen Etablierung von Folter schreitet munter voran. Durfte man gestern in der Talkrunde des Senders „Phoenix“ noch einen Vertreter der amerikanischen Republikaner für das Argument bewundern, wenn man Schlafentzug, Schein-Ertränken und 48 Stunden langes Stehen als „Folter“ bezeichne, würde man die „echte“ Folter verharmlosen, argumentiert heute schon Alan Dershowitz (Autor von „Plädoyer für Israel“) in der „Zeit“ für eine Legalisierung, solcher Praktiken. Erst mal natürlich nur in „Einzelfällen“, und auch nur „nicht-tödliche“ Folter. Die Frage ist: Wenn auch dieser Schritt erst einmal akzeptiert ist, mit welchem nächsten Schritt geht der Spaß dann weiter? Irgendwie graust mir bei der Vorstellung, dass in ein paar Jahren jeder, der immer noch gegen Folter ist, als Anti-Amerikaner oder Antisemit angegriffen werden wird. Ich kann die überschnappende Entrüstung förmlich schon hören: „Die Folter dient unserer Verteidigung gegen Terroristen, die uns ausmerzen wollen, und jeder, der das nicht akzeptiert, offenbart überdeutlich, auf welcher Seite er steht!“ Also dieselbe Rhetorik wie heute, nur noch einen Tacken schlimmer.

Treffend kommentiert Jörn Schulz in der “Jungle World“, wo die Gefahr bei den aktuellen Entwicklungen liegt: “Seit der amerikanischen Revolution sind die bürgerlichen Rechte Schritt für Schritt erweitert und zuvor ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen wie Frauen und Schwarzen zugesprochen oder von ihnen erkämpft worden. Nun aber entwickelt die US-Gesellschaft neue Ausgrenzungsmechanismen. Als Feind wird der »gefährliche Fremde« ausgemacht, der enemy combatant, der durchaus (…) ein US-Bürger sein kann.“ Während schon immer gefoltert wurde, so Schulz, hatten im Kalten Krieg die Supermächte entsprechende Vorwürfe als Propaganda des Gegners abgetan, und niemand wäre, wie heute, „auf die Idee gekommen, die Normen selbst in Frage zu stellen, weil der Feind sie nicht achtet. Was früher geleugnet wurde, wird heute öffentlich erwogen und gerechtfertigt. Linke fordern gern mehr Ehrlichkeit in der Politik. Die Heuchelei ist jedoch ein notwendiger Bestandteil der bürgerlichen Ordnung, denn sie bremst die Gewalttätigkeit des Staates und die Verrohung der Gesellschaft. Wenn sich niemand wegen seiner antihumanitären Ansichten oder Handlungen mehr schämen muss, wird es wesentlich leichter, das nächste Tabu zu brechen.“